Grund für den Mitgliederschwund sei die im Corona-Jahr 2021 erhöhte Zahl der Sterbefälle von 360.000 sowie die hohe Zahl der 280.000 Kirchenaustritte. Nach den Zahlen der EKD gehörten 19,7 Millionen Deutsche (23,7 Prozent) einer der 20 evangelischen Landeskirchen an. Das sind 2,5 Prozent weniger als im vergangenen Jahr.
Die Zahl der Kirchenaustritte stieg im Vergleich zum Pandemiejahr 2020 um 60.000. Damit lag die Austrittsrate bei rund 1,4 Prozent. Taufen und Kirchenübertritte konnten den Mitgliederschwund nicht aufhalten. Die Zahl der evangelischen Taufen habe sich mit 115.000 gegenüber 2020 zwar deutlich erhöht, erreiche bislang aber nicht das Niveau vor der Corona-Krise. Die Aufnahmen blieben mit rund 18.000 ungefähr auf dem Vorjahresniveau.
Hält auch der bisherige Trend des Mitgliederrückgangs in der katholischen Kirche an, könnte erstmals der Anteil der evangelischen und katholischen Christen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland unter die 50-Prozent-Marke sinken. Die katholische Kirche veröffentlicht ihre Mitgliederstatistik im Sommer. In den vergangenen Jahren hatten evangelische und katholische Kirche ihre Zahlen stets gemeinsam veröffentlicht.
Kurschus will "entschieden gegensteuern"
"Zwar hängt die Ausstrahlkraft einer Kirche nicht allein an der Zahl der Mitglieder, die ihr formal angehören, trotzdem werden wir sinkende Mitgliederzahlen und anhaltend hohe Austrittszahlen nicht als gottgegeben hinnehmen, sondern dort, wo es möglich ist, entschieden gegensteuern", sagte die EKD-Ratsvorsitzende, Annette Kurschus.
Dazu beitragen sollen in diesem Jahr den Angaben zufolge gezielte Taufinitiativen. In vielen Landeskirchen würden derzeit besondere Taufangebote unterbreitet, damit Familien, die während des Lockdowns kein Tauffest feiern konnten, Taufen nachholen können. "Bei der Taufe eines Kindes erfahren wir unmittelbar, wie die Kraft des Evangeliums Menschen berührt und stärkt", so Kurschus. "Der Segen begleitet die Getauften ein Leben lang. Diese Zusage ist gerade in unsicheren Zeiten verheißungsvoll und heilsam zugleich", so die Ratsvorsitzende.
Weniger Menschen haben kirchliche Bindung
Ursachenforschung betreibt die evangelische Kirche bei den Austrittsgründen: In einer qualitativen Teil-Studie und einer repräsentativen Umfrage hat das Sozialwissenschaftliche Institut (SI) der EKD Gründe und Anlässe für Kirchenaustritte erhoben, die seit 2018 erfolgt sind. Dabei wurde deutlich, dass nur eine Minderheit der Befragten einen konkreten Anlass zum Kirchenaustritt (24 Prozent vormals Evangelische, 37 Prozent vormals Katholische) hatte. "Es ist davon auszugehen, dass Skandale zur Austrittsspitze 2019 beigetragen haben, insbesondere bei den vormals Katholischen", so die Soziologin Petra-Angela Ahrens, die die Studie für das SI durchgeführt hat. In erster Linie vollziehe sich der Austritt jedoch als Prozess, der häufig schon mit einer fehlenden religiösen Sozialisation beginne.
Bei den weiterreichenden Gründen für den Kirchenaustritt kristallisiere sich eine empfundene "persönliche Irrelevanz" von Religion und Kirche als wichtiger Faktor heraus, so Ahrens. In diesem Zusammenhang werde gerade bei den vormals Evangelischen auch die mit dem Kirchenaustritt verbundene Ersparnis der Kirchensteuer als Grund angeführt (71 Prozent zustimmende Voten). "Damit bestätigt sich die geläufige Figur einer "Kosten-Nutzen-Abwägung" zur Kirchenmitgliedschaft, die bei fehlender religiös-kirchlicher Bindung einen Austritt wahrscheinlicher macht", so die Kirchensoziologin. Insbesondere bei den vormals Evangelischen lasse sich der zunehmende Bedeutungsverlust eines religiösen Selbstverständnisses über die Generationenfolge hinweg ablesen.
Die EKD und ihre Landeskirchen haben auf allen Ebenen Zukunfts- und Reformprozesse gestartet, mit denen sie die evangelische Kirche für Christinnen und Christen künftig attraktiver gestalten wollen. "Wir wollen mit unserer Botschaft die Herzen der Menschen erreichen. Ihnen die Möglichkeit eröffnen, einen Mehrwert für sich zu entdecken und sich gleichzeitig in diese Gemeinschaft einzubringen. Dabei geht es um nichts Geringeres, als mit unseren grundlegenden Werten eine Welt in Frieden und Freiheit mitzugestalten", so die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich. "Die Ergebnisse der Studie bestärken uns, umso unverzagter an unseren Reformen und dem Umbau der Kirche weiterzuarbeiten."