Berlin (epd). In Deutschland tätige Sterbehilfe-Organisationen haben im vergangenen Jahr in fast 350 Fällen Suizide begleitet oder Assistenz für die Selbsttötung vermittelt. Die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“, „Dignitas Deutschland“ und „Sterbehilfe Deutschland“ stellten am Montag in Berlin entsprechende Zahlen vor. Gründe für den Sterbewunsch der Betroffenen waren den Angaben zufolge schwere Erkrankungen, aber auch sogenannte Lebenssattheit ohne ein körperliches Leiden. Alle drei Organisationen stellten auch Hilfe für Paare bereit, die gemeinsam sterben wollten.
Die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“ (DGHS) vermittelte 2021 nach eigenen Angaben 120 Sterbewillige an Sterbehelfer. „Sterbehilfe Deutschland“ organisierte demnach 129 Suizidassistenzen, „Dignitas“ 97. Dies summiert sich auf 346 Fälle, im Durchschnitt also fast jeden Tag einen. Robert Roßbruch, Präsident der DGHS, rechnet damit, dass die Zahl noch steigen wird. Seine Organisation rechne mit 250 Fällen in diesem Jahr, sagte er.
Die Organisationen sind umstritten. 2015 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das die auf Wiederholung angelegte Suizidassistenz unter Strafe stellte. Dieses Gesetz wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 kassiert. Seitdem ist die Hilfe bei der Selbsttötung auch Organisationen wieder erlaubt. Bei der Suizidassistenz wird einem Sterbewilligen in der Regel ein tödlich wirkendes Medikament überlassen, er nimmt es aber selbst ein. Dies unterscheidet diese Form der Sterbehilfe von der Tötung auf Verlangen, die weiter unter Strafe steht.
Ein neues Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz hatte der Bundestag während der zurückliegenden Legislaturperiode nicht mehr auf den Weg gebracht. Aus dem neu gewählten Parlament gibt es inzwischen einen neuen ersten Vorschlag, der organisierte Hilfe bei der Selbsttötung wieder unter Strafe stellen, unter gewissen Voraussetzungen aber ermöglichen würde.
In einem am Montag ebenfalls präsentierten Appell wenden sich die Sterbehilfe-Organisationen gegen eine gesetzliche Regulierung. DGHS-Präsident Roßbruch verwies auf die Regeln, die sich seine Vereinigung selbst gegeben habe. Nach seinen Angaben klären ein Arzt und ein Jurist jeweils, ob der Sterbewunsch freiverantwortlich getroffen wurde. Roßbruch wandte sich auch gegen eine Beratungspflicht, wie sie der kürzlich von Abgeordneten nahezu aller Fraktionen vorgestellte Entwurf vorsieht. Dem Staat und der Gesellschaft stehe es nicht zu, über die Motive eines Suizids zu urteilen, sagte er.
Die Vorsitzende von „Dignitas Deutschland“, Sandra Martino, verwies auf die hohe Zahl der Suizide in Deutschland, die im Vergleich die begleiteten Selbsttötungen klein erscheinen ließen. 9.206 Menschen töteten sich 2020 in Deutschland laut Statistischem Bundesamt selbst. Für 2021 liegen noch keine Zahlen vor. Ihr gehe es auch darum, einsame und gefährliche Suizide zu vermeiden, sagte Martino. In allen drei Organisationen müssen Menschen, die eine Suizidassistenz wollen, Mitglied werden und Gebühren entrichten, die oft mehrere Tausend Euro betragen.
Während die Organisationen eine gesetzliche Regulierung ihrer Aktivitäten ablehnen, sieht die Deutsche Stiftung Patientenschutz den Staat durchaus in der Pflicht, eine Regelung zu treffen. Der Gesetzgeber sei gefordert, den Tötungshelfer strafrechtlich in den Blick zu nehmen, sagte Vorstand Eugen Brysch. „Er allein muss dafür juristisch verantwortlich gemacht werden, die freie Selbstbestimmung des Suizidwilligen jederzeit zu garantieren“, sagte er.