TV-Tipp: "Eisland"

Alter Röhrenfernseher steht vor Wand
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
16. Februar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Eisland"
Dreißig Jahre lang hat sich Marko Wendrichs als Verkaufsfahrer einer Firma für Tiefkühlkost buchstäblich den Buckel krumm geschuftet. Treppauf, treppab mit schwerer Last, trotzdem immer ein freundliches Wort für seine offenbar überwiegend alleinstehenden Kundinnen, denen er die Ware in den Gefrierschrank eingeräumt hat; und wenn eine Frau Probleme mit ihrem Computer hatte, war Marko ebenfalls zur Stelle.

Damit ist nun Schluss, denn zumindest seiner Arbeit kann er nicht mehr nachgehen: Eine Bandscheibe ist komplett verschlissen. Mit 56 ist er zu alt für eine Umschulung, weshalb ihm seine Orthopädin die Frührente empfiehlt. Aber wie soll er dann das Jurastudium seines Sohnes Steffen finanzieren? Als eine der alten Damen nach einem feuchtfröhlichen Abend mit viel Eierlikör friedlich das Zeitliche segnet, hat Marko eine Idee: Ingeborg Meuer hat eine stattliche Pension bekommen; und das muss sich ja nicht ändern, bloß weil sie verstorben ist.

Axel Prahl ist genau der Richtige für die Rolle dieses kleinen Mannes, der vom rechten Weg abkommt. Der Publikumsliebling hat zwar schon oft bewiesen, welch’ formidabler Schurkendarsteller er ist, aber Marko ist ein guter Kerl, der nicht aus Habgier handelt; das Versorgungssystem lässt ihm zumindest aus seiner Sicht gar keine andere Wahl.

Ähnlich klug wie die Besetzung der Hauptfigur war die Wahl des Tonfalls: Regisseurin Ute Wieland hat aus dem Dramenstoff zwar keine Komödie gemacht, aber gerade zu Beginn für einige heitere Momente gesorgt, wenn Marko beispielsweise lautstark schnarchend auf seiner Sportmatte schläft, während im Hintergrund ein Fitnessvideo läuft. Die Begegnungen mit seinen Kundinnen wiederum sind mit viel Zuneigung zu den Figuren inszeniert. Gleiches gilt für die Momente mit Vater und Sohn, die auch mal einträchtig bei einem Dokumentarfilm einschlafen.

Nach dem Tod von Frau Meuer wird der Film allerdings vorübergehend makaber: Marko muss mit Gewalt nachhelfen, weil der Leichnam zu groß für die Kühltruhe ist; das entsprechende Knirschen klingt ziemlich unangenehm. Als die Tat aufzufliegen droht, weil das Gerät den Geist aufgibt und er die sterblichen Überreste in der Badewanne zwischenlagern muss, während die Lieferanten die neue Truhe anschließen, wird der Film vorübergehend sogar ein bisschen spannend. 

Bei aller Sympathie für den Witwentröster mit Herz, der nur ganz kurz zögert, bevor er einer weiteren Kundin das Leben rettet, anstatt auch ihre Rente zu kassieren: Davonkommen lässt ihn das Drehbuch nicht. Trotzdem ist Marko im Grunde eher Opfer als Täter. Der eigentliche Unhold ist ein Nachbar von Frau Meuer, der anscheinend nichts Anderes zu tun hat, als ähnlich argwöhnisch wie sein Hund in der Umgebung mit Stasi-Blick nach dem Rechten zu sehen.

Diesem unsympathischen Typen (Jan Henrik Stahlberg) ist nicht verborgen geblieben, was im Haus nebenan vor sich geht, weshalb er den bedauernswerten Marko nicht nur zu einer monatlichen Zahlung nötigt, sondern ihn mehr oder weniger zu seinem Sklaven macht. Als Steffen (Merlin Rose) seinem Vater schließlich ebenfalls auf die Schliche kommt, muss Marko den Schwindel beenden; aber wie?

Maximilian Kaufmann hat sein erstes verfilmtes Drehbuch um viele kleine Momente angereichert, die der Handlung Tiefe geben. Gerade die Szenen mit den von Inge Maux und Christine Schorn sehr anrührend verkörperten Kundinnen verdeutlichen, dass Marko ein guter Mensch ist. Sehr präsent sind auch trotz ihrer eher kleinen Rollen Narges Rashidi als Ärztin und Pheline Roggan als Physiotherapeutin. Zwischen der Krankengymnastin und Marko entsteht eine besondere Verbindung: Beide verehren Roland Kaiser. Dessen melancholisches Lied "Spätsommerwind" über den Herbst des Lebens passt perfekt zur Atmosphäre des Films; den verwitweten Marko erinnert die Musik an die besten Jahre seines Lebens.

Sehr sympathisch ist auch der kurze Gastauftritt des Sängers als spätabendlicher Besucher in Markos Stammlokal: Kaiser öffnet seinem Fan mit einem Monolog über das typische Verhalten eines Sandsturms die Augen. Prahl und Kaiser haben schon einmal gemeinsam vor der Kamera gestanden: In "Summ, Summ, Summ" (2013), einem "Tatort" aus Münster, spielte Kaiser einen Sänger, der unter Mordverdacht steht. Seither sind die beiden Männer miteinander befreundet, wovon Kaufmann witzigerweise aber keine Ahnung hatte. Der Autor versteht seinen Film vor allem als Hommage an die "heimlichen Helden der Vorstadt", die für ihre Kundinnen mehr als bloß Lebensmittellieferanten sind.