Münster (epd). Für den Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller hat der emeritierte Papst Benedikt XIV. mit seinem Verhalten bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising die katholische Kirche beschädigt. „Er hat die letzte Möglichkeit verpasst vor seinem Tod, wirklich reinen Tisch zu machen“, sagte Schüller dem Evangelischen Pressedienst (epd) nach der Veröffentlichung eines unabhängigen Gutachtens über den Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum München zwischen 1945 und 2019. Die Gutachter werfen Benedikt XVI. in vier Fällen Fehler in seiner Amtszeit als Erzbischof von München von 1977 bis 1982 vor, weil er nicht ausreichend gegen Missbrauchstäter vorgegangen sei und katholische Geistliche etwa weiterhin im Dienst der Kirche eingesetzt habe.
In einem Fall soll der heute 94-Jährige zustimmt haben, einen Essener Priester im Erzbistum einzusetzen, der zuvor als Missbrauchstäter verurteilt worden war. Benedikt XVI. habe von der Vergangenheit des Mannes gewusst, ihn aber dennoch weiter in der Seelsorge eingesetzt. In einer Stellungnahme, die im Anhang des Gutachtens veröffentlicht wurde, weist der emeritierte Papst alle Vorwürfe von sich. Er bestreitet zudem, in der Sitzung im Januar 1980 anwesend gewesen zu sein, in der über die Personalie des Essener Priesters entschieden wurde. Die Gutachter können anhand eines Sitzungsprotokolls nachweisen, dass Benedikt aktiv an der Sitzung teilgenommen hat.
Für Schüller ist klar, dass Benedikt XVI. die Unwahrheit gesagt hat. „Nach der Lektüre der betreffenden Passagen ist Benedikt XVI. der dreifachen Lüge überführt. Er hat die Vorgeschichte des Pfarrers gekannt, er hat mitentschieden, dass er ohne Gefahrenauflagen in der Seelsorge eingesetzt wird, und er war in der entscheidenden Sitzung der Ordinariatskonferenz anwesend, wie die Gutachter nachgewiesen haben. Er dementiert alle drei Sachverhalte. Das ist eine Lüge“, sagte Schüller.
Die Verfehlungen Benedikts seien heute weder straf- noch kirchenrechtlich sanktionierbar, sagte Schüller. „Aber er hat das höchste Amt der katholischen Kirche beschädigt und damit die Vertrauenskrise weiter verschärft.“