Frankfurt a. M. (epd). Endlich Wochenende, ausschlafen. Nicht für Felix, der in Wirklichkeit anders heißt. Wie jeden Samstag wurde der 31-jährige Bad Homburger auch diesmal um sieben Uhr unsanft aus dem Schlaf geholt - von den Kirchenglocken der benachbarten evangelischen Erlöserkirche und der katholischen Marienkirche, die zum Morgengebet läuteten.
"Ich habe nichts gegen die Glocken, ich bin selbst Kirchenmitglied. Aber um die Uhrzeit - muss das sein?", ärgert sich der IT-Spezialist. Die katholische Kirche gebe sogar nachts mit Geläut die Uhrzeit an, alle 15 Minuten. Auf eine E-Mail an die Gemeinde vor mehreren Wochen habe er die Antwort erhalten: "Wir besprechen das im Vorstand."
Auch andernorts sorgt Glockengeläut für Ärger. Das hat kürzlich Stephan Da Re erlebt. Er ist Pfarrer in der Johanniskirche in Wiesbaden. Es war nicht das erste Mal, dass sich Leute über das Läuten beschwert haben. Aber diesmal hat sich der Theologe ganz schön geärgert, denn das Schreiben kam von einem anonymen Absender. Und auch der Ton gefiel dem Gemeindepfarrer nicht. So schreibt der anonyme Verfasser vom "unnötigen Gebimmel".
Vergleich mit Muezzinruf hinkt
Den Brief hat Da Re auf Twitter veröffentlicht. Ganz bewusst, wie er erzählt: "Ich bin der Meinung, dass bei so etwas ein klares Bekenntnis gefordert ist." Für den Beitrag erhielt der Wiesbadener innerhalb kürzester Zeit Hunderte Kommentare. Die einen gaben dem Briefschreiber recht mit Sätzen wie: "Lärmbelästigung - keine Sonderrechte für Kirche." Viele andere äußerten sich pro Glockenläuten. So schreibt eine Userin, dass die Glocken für sie "ein geschätzter Wecker" seien. Andere meinen: "Selbst schuld, wenn man in die Nähe einer Kirche zieht", "Jeder Autolärm oder Laubbläser ist unangenehmer" und "Man gewöhnt sich dran".
Schnell führte die Diskussion auch in Richtung Muezzinruf. Der öffentliche Ruf zum muslimischen Freitagsgebet wurde vor wenigen Wochen in Köln und kürzlich auch im hessischen Raunheim (Kreis Groß-Gerau) genehmigt. Schwer zu vergleichen, findet der Glockensachverständige der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Thomas Wilhelm und betont: "Der Glockenruf ist im Gegensatz zum Muezzinruf nonverbal." Außerdem sei die Glocke auch außerhalb des Christentums ein Symbol für Frieden.
Gerichte urteilen unterschiedlich
Immer wieder ziehen Glockengegner vor Gericht - mit unterschiedlichen Ergebnissen: Kürzlich hat zum Beispiel das Verwaltungsgericht Frankfurt entschieden, dass die Kirchenglocken der evangelischen Kirche in Usingen-Merzhausen im Hochtaunuskreis weiter sonntags läuten dürfen und damit die Klage einer Anwohnerin abgewiesen. Das Glockenläuten sonntags habe sakralen Charakter, urteilten die Richter.
Ein Rentner im fränkischen Haundorf dagegen hatte im vergangenen Jahr vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erreicht, dass weniger geläutet wird. Gerade wenn es um das nächtliche Läuten geht, stehen die Chancen für Kläger gut. Denn laut Gesetz gilt zwischen 22 und 6 Uhr Nachtruhe - auch für die Glocken.
Oft einigen sich Nachbarn und Gemeinde aber auch außergerichtlich. So wie in der katholischen Kirchengemeinde im rheinland-pfälzischem Erpel. Dort hatte sich kürzlich ein neu Zugezogener über das Läuten beschwert. Eine Messung ergab: Die Glocken sind zu laut. Deshalb schritt zwar das zuständige Ordnungsamt ein, eine Anzeige aber blieb aus. Seither schweigen die Glocken der St. Severinus-Kirche in der Nacht.
Lärm-Obergrenze und akustische Verbesserung
Die Lage ist nicht eindeutig, wie auch Glocken-Experte Wilhelm erklärt. Denn man muss unterscheiden zwischen religiösem und weltlichem Läuten. Sakrales Glockengeläut sei im Rahmen des Grundrechts auf freie Religionsausübung geschützt. Wird also zum Gebet oder Gottesdienst geläutet, ist das grundsätzlich erlaubt, auch mehrmals täglich. Zum weltlichen Glockenläuten zählt der Stundenschlag oder das Läuten an Neujahr.
Außerdem gibt es eine Lärm-Obergrenze. Für das Glockenläuten gilt in Wohngebieten nachts ein Wert von 40 dB(A), tagsüber 55 dB(A). In der Nähe von Krankenhäusern oder in Kurgebieten sind die Grenzwerte andere. Thomas Wilhelm versichert: "Wir versuchen ständig, die Akustik von Glocken zu verbessern." Das funktioniere über die Dämpfung des Geläuts mit Holz oder Gummi.
Pfarrer Da Re berichtet über große Zustimmung, die ihm nach dem Vorfall in seiner Gemeinde entgegenkam: "Mich haben viele Leute auf der Straße angesprochen und gesagt: ‚Also wir finden das schön mit den Glocken‘." Als Reaktion auf den anonymen Brief hat er ein Info-Blatt in den Schaukasten der Gemeinde gehängt und dieses auch auf Twitter veröffentlicht. Er wolle unbedingt mit den Menschen im Gespräch bleiben.
Das ist auch Kirchenmusiker Wilhelm wichtig. Er wirbt für die Glocke als "emotionales Instrument": "Beim Frankfurter Stadtgeläut ist die Stadt voll!" Das zeige, welche Anziehungskraft Glocken auf Menschen hätten. Und dann vergleicht er sie noch mit einer Klangschalentherapie: "Glocken sind nichts anderes. Sie haben eine heilsame Wirkung."
Daran glaubt Felix nicht. Im Gegenteil. Er schläft seit dem Umzug in die Bad Homburger Innenstadt kaum eine Nacht durch und möchte sich in den nächsten Wochen erneut mit der Gemeinde in Verbindung setzen, um eine friedliche Lösung zu finden.