Zum Buß- und Bettag haben evangelische Christen überall in Deutschland an die Sorgen und Entbehrungen in der fast zwei Jahre andauernden Corona-Pandemie erinnert. Angesichts der wachsenden Zahl an Neuinfektionen sprach der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm von einer ansteigenden "seelischen Inzidenz". Viele Menschen wollten nicht noch einmal einen Herbst erleben, "der nach einer sommerlichen Hoffnungszeit zur großen Enttäuschung wird", erklärte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in seiner Predigt in München.
"Nicht noch einmal diese permanente Vorsicht bei der Begegnung mit anderen Menschen, die spontane Nähe so schwermacht", sagte Bedford-Strohm. " Nicht noch einmal steigende Corona-Totenzahlen, die Angst machen! Nicht noch einmal eine Diskussion, ob oder wie wir die Weihnachtsgottesdienste in den Kirchen abhalten können!"
Die Bremer Kirchenpräsidentin Edda Bosse mahnte, dass auch nach dem Ende der Pandemie für viele Menschen "gar nichts wieder gut" werde. "Mehr als 97.700 Menschen sind in unserem Land an Covid gestorben, mehr als 97.700 Mal Trauer und Verlust", sagte sie in einem Rundfunkgottesdienst. Mütter, Väter, Kinder, gute Freunde oder Nachbarn seien gestorben, andere hätten Langzeitfolgen dieser gefährlichen Krankheit zu ertragen.
Der Bußtag biete die Chance, mit sich und den eigenen Sorgen und Fragen ins Gespräch zu gehen und sie Gott anzuvertrauen, um dann "tatkräftig, flexibel und solidarisch" zu handeln, sagte Bosse.
Erinnern wichtiger denn je
Der überwiegend von protestantischen Christen begangene Buß- und Bettag gilt als Tag der Umkehr und Neuorientierung. 1995 wurde er als gesetzlicher Feiertag zur Finanzierung der Pflegeversicherung in allen Bundesländern außer in Sachsen abgeschafft. Die evangelische Kirche bezeichnet diesen Schritt bis heute als Fehlentscheidung. In Bayern haben Kinder schulfrei, sodass viele Eltern einen Urlaubstag nehmen müssen.
In Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie im Saarland gilt zudem ein Tanzverbot. Viele Gemeinden laden meist am frühen Abend zu Andachten ein, um Berufstätigen die Teilnahme zu ermöglichen.
Auf einem früheren Gelände der sowjetischen Armee im Taucherwald bei Bautzen fand ein ökumenischer Gottesdienst statt, der an die Bedrohung durch Kriege erinnern und ein friedvolles Zeichen setzen sollte.
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister warnte vor wachsendem Antisemitismus und Islamophobie. Der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) erinnerte im niedersächsischen Clausthal-Zellerfeld an die Todesmärsche von Tausenden KZ-Inhaftierten durch den Westharz im Frühjahr 1945. Auch wenn viele junge Menschen sich fragten, was sie mit den Verbrechen vorangegangener Generationen zu tun hätten, und abschließen wollten "mit dem Thema Krieg und Judenverfolgung", sei das Erinnern und mutige Einstehen für Frieden und Verständigung wichtiger denn je, betonte der Bischof in seiner Predigt.