Graf Dracula wohnt mitten in Hamburg. Er hat sich eingerichtet in einer Gruft unter der Erde. Auf Knopfdruck geht das Licht an, und der Vampir öffnet den Deckel seines Sargs. Angst muss trotzdem niemand haben, denn Dracula hat seine Zelte im Miniatur-Wunderland aufgeschlagen, der größten Modellbauanlage der Welt in Hamburg. Dracula haust - wie es sich für einen Vampir gehört - direkt unter dem City-Friedhof.
Doch die Spielerei mit der literarischen Figur ist eine Ausnahme. Scherze finden sich auf den Friedhöfen im Wunderland sonst nicht. „Wir wollen Tod und Trauer würdevoll und mit dem nötigen Ernst behandeln“, sagt Modellbauer Gerhard Dauscher. Und deshalb verzichten die „Wunderländer“, wie sie sich selbst nennen, auf ein Augenzwinkern.
Mit viel Liebe zum Detail sind die Bauer trotzdem zu Werke gegangen bei den Friedhöfen der Anlage - zum Beispiel im norditalienischen Bergdorf Riomaggiore. Dort sind die Toten nicht in unterirdischen Gräbern bestattet, sondern in Kolumbarien über der Erde. Und wenn es im Wunderland alle 15 Minuten Nacht wird, strahlen kleine gelbe Lampen aus den Grabstätten, die das ewige Licht darstellen sollen.
Gebaut haben Dauscher und seine Kollegen diesen Friedhof nach Fotos, die sie im Internet entdeckt haben. Bei größeren Projekten reisen sie auch mal und schauen sich die Sachen, die sie später nachbauen, im Original an. Zwei Wochen hat es gedauert, bis das italienische Kolumbarium fertig war.
Und dann schauen die Modellbauer auch, was im richtigen Leben so passiert - auch auf Friedhöfen. Und so sind auf dem großen Hamburger Friedhof Passanten zu sehen, die an Gräbern vorbeischlendern, Arbeiter, die sich um die Gartenabfälle kümmern, und Besucher einer laufenden Trauerfeier, die sich gegenseitig umarmen.
Dauschers Lieblingsfriedhof steht aber woanders, und zwar in der Skandinavien-Landschaft des Miniatur-Wunderlands. Hinter einer weißen Kirche und einer Landstraße hat ein Friedhof mit Runensteinen seinen Platz auf einem grünen Rasen - direkt neben einer Bahnstrecke. „Mir gefällt dieser Friedhof, weil er so nah an der Natur ist“, sagt der 55-Jährige, der schon seit der Eröffnung des Wunderlands im August 2001 als Modellbauer dabei ist. Der gelernte Werkzeugmacher war damals von dem Job so begeistert, dass er aus seiner Heimat Bayern nach Hamburg zog.
Es begann mit Gedenken an verstorbene Kollegen
Ganz unscheinbar kommt der Friedhof in den Schweizer Alpen daher - und das ist auch so gewollt. Neben einer Kapelle ragen eine Handvoll Kreuze aus dem Bergmassiv heraus. Jedes von ihnen steht für einen verstorbenen Mitarbeiter des Wunderlands. Als ein muslimischer Kollege starb, setzten die Modellbauer einen muslimischen Grabstein dazu, verziert mit zwei kleinen Minaretten. Diese Stätte sei in erster Linie als Andenken an die Mitarbeiter gedacht, sagt Dauscher. Darum finden sich auch keine Hinweisschilder. Begonnen haben die „Wunderländer“ mit ihrer eigenen Gedenkstätte vor 13 Jahren, als ein Kollege starb.
„Grundsätzlich wollen wir Friedhöfe so getreu wie möglich nachbilden“, erzählt Dauscher. Immer seien die Bauer darum bemüht, auch landestypische Sachen einzubauen. So findet sich auf dem mexikanischen Friedhof ein Totempfahl, und der amerikanische Friedhof in den Rocky Mountains ist im Stil des Wilden Westens gehalten.
Bislang sind die Friedhöfe allesamt christlich, doch das hat keine religiösen Gründe, sondern geografische. Ob Deutschland, Skandinavien oder die USA - in allen Regionen, die das Miniatur-Wunderland bislang nachgebaut hat, dominiert das Christentum.
Doch das soll sich bald ändern. Am 1. Dezember eröffnet die Modellbauanlage einen neuen Bereich in einem anderen Gebäude, den Besucher über eine eigens eingebaute Brücke erreichen. Dort gibt es zunächst das brasilianische Rio zu bewundern, aber später sollen Afrika und Asien folgen - mit muslimischen Grabstätten und Moscheen.