Für Betroffene habe sich in den vergangenen Jahren nichts oder nur wenig geändert, sagte Katharina Kracht, selbst Betroffene von sexualisierter Gewalt, am Sonntagmorgen in einer Online-Pressekonferenz zum Auftakt der EKD-Synode in Bremen. Während die katholische Kirche öffentlich stark unter Druck sei, gelinge es der EKD, von den Problemen in ihren Institutionen abzulenken und den „Mythos von Einzelfällen“ zu verbreiten.
Kracht war bis zuletzt Mitglied in dem im vergangenen Herbst etablierten Betroffenenbeirat auf Ebene der EKD. Dieser Betroffenenbeirat war im Mai bereits einseitig vom Rat der EKD ausgesetzt worden. Grund dafür waren interne Konflikte im Gremium und eine fehlende Rollenklärung in der Zusammenarbeit mit der EKD. Mehrere Mitglieder traten daraufhin zurück, vier Mitglieder verblieben in dem Gremium, darunter auch Kracht.
Expert:in weise keinerlei Fachlichkeit auf
Kracht und weitere Betroffene kritisieren die versprochene Evaluation dieses vorläufigen Scheiterns der Betroffenenbeteiligung auf Ebene der EKD. Finanziert werde nun eine sogenannte Expertise, diese werde jedoch von einer Einzelperson durchgeführt, die aus Sicht der Betroffenen keinerlei Fachlichkeit im Bereich sexualisierter Gewalt aufweisen könne. Begleitet werde diese Expertin von einer Traumatherapeutin. „Betroffene werden immer wieder auf ihr reales oder angenommenes Trauma reduziert“, sagte Kracht.
Der Sprecher des Missbrauch-Beauftragtenrates der EKD, Christoph Meyns, möchte dennoch vorerst an den Strukturen für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt festhalten. Es sei noch ein bisschen zu früh, um Konsequenzen aus dem vorläufigen Scheitern der Betroffenenbeteiligung auf der Ebene der EKD zu ziehen, sagte Meyns am Sonntag in der Online-Pressekonferenz.
Zunächst wolle der Beauftragtenrat die Ergebnisse einer externen Expertise abwarten, die derzeit erstellt werde. Man habe eine Expertin für Beteiligungsverfahren beauftragt, die Gründe zu untersuchen, die zum Aussetzen des Betroffenenbeirats im Mai geführt hätten. Dazu befrage die Expertin sowohl die ehemaligen Mitglieder des Betroffenenbeirats als auch die Mitglieder des EKD-Beauftragtenrats. Neun von zwölf Betroffenen hätten zugesagt, an der Evaluation mitzuarbeiten.
Gründlichkeit sei wichtiger als Schnelligkeit
Wann die Expertise vorliegt, konnte Meyns noch nicht sagen. Wichtiger als Schnelligkeit sei Gründlichkeit, sagte der Landesbischof der braunschweigischen Landeskirche. Im Anschluss an die Expertise solle es eine moderierte Aussprache zwischen den ehemaligen Mitgliedern des Beirats und dem EKD-Beauftragtenrat geben.
Henning Stein, ebenfalls Mitglied des ausgesetzten Betroffenenbeirats, sagte, er habe den Eindruck gewonnen, dass die EKD kein Interesse an einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe habe. Die Kirche wolle weiterhin die Deutungshoheit besitzen, sagte der Vater eines körperbehinderten Betroffenen, der in einem Internat sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen ist.
Mitglieder des Betroffenenbeirats hätten sehr früh eine externe Vermittlung von dritter Seite zwischen der Kirche und dem Gremium gebeten. Dies sei abgelehnt worden. Die Kirche habe den Betroffenenbeirat „im eigenen Saft schmoren“ lassen. „Wir wurden an Entscheidungsprozessen der Kirche nicht beteiligt. Wir wurden regelmäßig vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagte Stein.
Die EKD hatte im Herbst 2020 einen zwölfköpfigen Betroffenenbeirat etabliert, der als Gegenüber zum Beauftragtenrat an der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt mitwirken sollte. Dessen Arbeit war jedoch im Mai vorläufig von der EKD ausgesetzt worden, nachdem es zu mehreren Rücktritten gekommen war. Gründe dafür waren unter anderem die nicht geklärte Art der Beteiligung, aber auch finanzielle Ressourcen.
Auf der seit Sonntag digital tagenden EKD-Synode wird der Stand der Aufarbeitung am Montagnachmittag im Plenum diskutiert. Die EKD hatte im Mai betont, am Prinzip der Betroffenenbeteiligung an der Aufarbeitung festzuhalten. Bislang sind 942 Fälle sexualisierter Gewalt innerhalb der EKD bekannt.