Die Menschen seien musikalisch immer weniger gebildet, sagte Steuerwald in Speyer dem Evangelischen Pressedienst. Wenn Kirche sie erreichen wolle, müssten sie dort abgeholt werden, wo sie seien. "Dazu gehört auch die Musik, die im Radio läuft."
Steuerwald widersprach dem Musikwissenschaftler und Theologen Rainer Bayreuther, der in seinem Buch "Der Sound Gottes" der evangelischen Kirchenmusik vorwirft, ihr gehe es in erster Linie ums Wohlfühlen und nicht um spirituelle Erlebnisse und Gotteserfahrung.
Die Kritik gipfelt in der Aussage, Kirchenmusik sei zum Ohrensessel geworden, "in dem man sehr weich und sehr tief sitzt". Es reiche nicht, wenn die Kirchenmusik nur aus dem Singen von Kirchenliedern mit Orgelbegleitung, dem Auftreten von Kirchenchören und ansonsten aus "immer wieder Bach, Bach und wieder Bach" bestehe.
Gotteserfahrung möglich
Bayreuthers Buch habe unter Kirchenmusikern für einigen Wirbel gesorgt, sagte Steuerwald. Der Autor meine mit seiner Kritik aber nicht nur die Kirchenmusik, sondern die ganze evangelische Kirche, die ihm zu geschwätzig-erklärend sei und dabei vergesse, Räume für die Gotteserfahrung zu öffnen. Aber über die Forderung hinaus, die herkömmlichen Formen der Kirchenmusik aufzubrechen, bleibe Bayreuther kläglich unkonkret und nebulös.
Die Chancen der Kirchenmusik liegen nach Steuerwalds Worten weder ausschließlich bei experimentellen Angeboten noch ausschließlich bei Werken aus der Reformationszeit und des Barocks. Die Menschen könnten nicht selbst über Gott verfügen. Aber Musik in allen Formen, auch in den einfachsten, schaffe Raum für transzendente Erfahrung. Das zeigten etwa die Trommeln der Naturvölker oder die Taizé-Lieder.
Weil Musik Menschen diese Erfahrung ermögliche, müsse sie eine Querschnittsaufgabe für alle Bereiche der Kirche sein, sagte Steuerwald. Dazu gehörten die professionell herausragende Kirchenmusik ebenso wie niederschwellige Angebote in der Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit. So sorge Kirche für musikalische Bildung, die zur Grundbildung gehöre.
Wenn Musik überall in der Kirche eine Rolle spiele, trage sie dazu bei, dass viele unterschiedliche Menschen "mit dem fantastischen Inhalt unseres Glaubens in Berührung kommen", sagte der Landeskirchenmusikdirektor. Musik liefere dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Attraktivität kirchlicher Arbeit und könne Kirchenmitglieder binden und neue Mitglieder gewinnen.