Frankfurt a.M. (epd). Die Ausweitung der Corona-Impfangebote für Kinder und Jugendliche stößt bei Medizinern auf harsche Kritik. Nach der Entscheidung der Gesundheitsminister der Länder warfen Ärztevertreter der Politik vor, sich über die abwartende Haltung der Ständigen Impfkommission (Stiko) hinwegzusetzen und Druck auf Eltern und deren Kinder aufzubauen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) indes betonte am Dienstag, dass die Impfungen freiwillig bleiben.
Die Gesundheitsministerkonferenz hatte am Montag ein flächendeckendes Angebot von Corona-Impfungen für Mädchen und Jungen zwischen 12 und 17 Jahren beschlossen, obwohl die beim Robert Koch-Institut angesiedelte Stiko bislang keine generelle Empfehlung zu Impfungen in dieser Altersgruppe abgegeben hat. Alle Bundesländer wollen fortan Impfungen von Kindern und Jugendlichen auch in Impfzentren oder „mit anderen niedrigschwelligen Angeboten“ ermöglichen. Dabei seien eine entsprechende ärztliche Aufklärung erforderlich sowie gegebenenfalls eine Zustimmung der Sorgeberechtigten. Die Angebote seien so zu gestalten, dass die Freiwilligkeit der Annahme nicht infrage gestellt wird, heißt es in dem Beschluss der Gesundheitsminister.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte kritisierte, dass entgegen der Stiko-Empfehlung nun mit Reihenimpfungen begonnen werde. Grund für die Zurückhaltung des Expertengremiums sei eine noch nicht ausreichend gesicherte und ausgewertete Datenlage über Nebenwirkungen wie Herzmuskelentzündungen bei Jugendlichen. „Wir machen keine große Angst vor der Impfung, aber wir wollen hundertprozentige Sicherheit für die Kinder und Jugendlichen. Und da verlassen wir uns nicht auf ein politisches Urteil über die Impfung, sondern lieber auf ein medizinisches“" sagte der Bundespressesprecher des Verbandes, Jakob Maske, dem Fernsehsender Phoenix.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, erklärte, den derzeitigen Stiko-Empfehlungen sei nichts hinzuzufügen. „Leider wälzt die Politik ihr Versäumnis, andere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um etwa Präsenzunterricht nach den Sommerferien wieder zu ermöglichen, jetzt auf Kinder und Jugendliche und deren Eltern ab, indem ein erheblicher Impfdruck aufgebaut wird“, kritisierte er.
Das sieht der Bundeselternrat ähnlich. Vorstandsmitglied Ines Weber sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“, viele Eltern stünden dem Impfangebot sehr skeptisch gegenüber, „mindestens so lange die Ständige Impfkommission keine Empfehlungen dafür abgibt“. Sie fühlten sich aber unter Druck gesetzt, ihre Kinder impfen zu lassen, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen.
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sprach von einer Missachtung der Kompetenz der Stiko. „Das Ganze klingt ein wenig nach Wahlkampfgetöse“, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Dienstag).
Der Deutsche Städtetag stellte sich hinter den Beschluss und schlug vor, mobile Impfteams in die Schulen zu schicken. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag), den Kommunen sei es wichtig, mit den Impfungen den Präsenzunterricht in den Schulen abzusichern.
Bundesgesundheitsminister Spahn betonte, dass sich Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern weiterhin frei entscheiden könnten. „Es geht ausdrücklich nicht darum, Druck zu machen“, sagte er im Inforadio des RBB. Wer jedoch geimpft werden wolle, solle die Möglichkeit dazu bekommen.
Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens sagte dem „Spiegel“, er hoffe, dass die Kommission in den nächsten zehn Tagen eine überarbeitete Empfehlung vorlegt. Eine grundsätzliche Änderung könne er aber nicht versprechen. Die Impfkommission könne nicht auf der Grundlage von Daten aus den USA entscheiden, wo die Impfung von Kindern und Jugendlichen bereits explizit empfohlen wird. Die Situation dort sei nicht vergleichbar, „jede Kommission muss das für ihr Land bewerten“, sagte Mertens.