Hamburg (epd). Die Afghanistan-Expertin Nadia Nashir hat die Bundesregierung aufgefordert, alle Ortskräfte, die in Afghanistan für die Bundeswehr gearbeitet haben, sowie deren Familien schnell nach Deutschland zu holen. Dolmetscher und andere ehemalige Helfer der Bundeswehr würden nach dem Truppenabzug von der islamistischen Taliban-Miliz bedroht. Sie hätten nicht einmal mehr eine Stelle in Afghanistan, an die sie sich wenden könnten, um ihre Anliegen vorzubringen und Visa zu beantragen, sagte die Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Das Büro ihres Vereins bekomme Anfragen von Verwandten dieser Ortskräfte, die dringend um Hilfe bäten. Auch wenn erste Ortskräfte jetzt in Deutschland eingetroffen seien: „Wir sind weit davon entfernt, dass das geregelt wäre“, sagte Nashir, deren 1992 in Osnabrück gegründeter Verein seit kurzem in Hamburg ansässig ist.
Die Vereinsvorsitzende beklagte, der NATO-Truppenabzug sei viel zu schnell vonstatten gegangen und habe ein Vakuum hinterlassen. Die ausländischen Soldaten hätten dem afghanischen Militär kaum Ausrüstung überlassen. Die Taliban seien auf dem Vormarsch. Die Corona-Pandemie trage ebenfalls zur Destabilisierung bei: „Wir sehen das mit großer Sorge und fürchten, dass die Regierung irgendwann die Kontrolle verliert.“
In jedem Fall werde es für Frauen in Afghanistan wieder schwerer, sagte Nashir, die seit fast 30 Jahren mit ihrem Verein unter anderem Schulen und Gesundheitsstationen baut und unterstützt. In Bezirken, die die Taliban übernommen hätten, sei die Geschlechtertrennung etwa in den Schulen wieder eingeführt worden, die Frauen müssten wieder Burkas tragen. Aber die Frauen würden sich nicht mehr so leicht einschüchtern lassen.
Die Arbeit des Frauenvereins, der in den Provinzen Kundus, Kabul und Ghasni tätig ist, expandiere derzeit, sagte die Vorsitzende. „Wir bekommen von anderen Organisationen, die sich zum Teil zurückziehen, Anfragen, ob wir deren Projekte übernehmen.“ Auch aus der Bevölkerung gebe es immer wieder Bitten, Schulen und Krankenhäuser zu übernehmen und zu bauen. Nashir appelliert an die Bundesregierung, die humanitäre Hilfe für Afghanistan jetzt nicht einzustellen.
Zudem fordert sie, Deutschland müsse sich stärker als bisher in Friedensverhandlungen engagieren. Der Westen sollte die Zivilgesellschaft sowie Menschenrechtsaktivisten und -aktivistinnen unterstützen. Zudem müssten die NATO-Missionen der vergangenen 20 Jahre aufgearbeitet werden. Fehler wie die Unterstützung der Warlords mit Geld und Waffen müssten eingestanden werden, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.