Berlin (epd). Das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte beklagt im Umgang mit den afghanischen Helfern der Bundeswehr „eklatante moralische Mängel“. Der Vorsitzende der Organisation, Marcus Grotian, der selbst als Soldat 2011 in Kundus stationiert war, sagte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst, beim Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan habe man anstelle dieser Menschen lieber 22.000 Liter Bier mitgenommen. „Die Ortskräfte durften den Fliegern hinterher winken.“ Er fügte hinzu: „Dafür habe ich kein Verständnis mehr.“
Die große Koalition hatte sich kürzlich darauf verständigt, allen Ortskräften von Bundeswehr und Polizei, die ab 2013 ein Visum für Deutschland anstrebten, dieses zu bewilligen. Damit wollen sie die Helfer der deutschen Soldaten und ihre Familien nach dem Abzug der internationalen Truppen vor Racheaktionen der Taliban zu schützen. Voraussetzung ist, dass die Ortskräfte schon einmal angezeigt haben, dass sie gefährdet sind.
Grotian kritisierte diese Einschränkung. „In der Wahrnehmung der Afghanen führt eine Gefährdungsanzeige dazu, dass sie gefeuert werden.“ Deshalb hätten viele lieber den Mund gehalten und weitergearbeitet.
Zudem seien nicht alle, die für die Bundeswehr gearbeitet hätten, berechtigt, überhaupt einen Antrag zu stellen. So habe beispielsweise der Bau der Kirche im Feldlager Marmal nicht dazu geführt, dass der Erbauer, der laut „Scharia eine Todsünde begangen“ habe, eine Berechtigung für ein Visum bekomme.
Ein weiteres Negativ-Beispiel seien „die Vergessenen 26“, afghanische Medienschaffende und Mitarbeiter des Bayan Shamal Mediencenters in Masar-i Scharif. Dieses sei von der Bundeswehr mit aufgebaut worden. Die dort Beschäftigten seien noch vor zwei Wochen mit der Bundeswehr unterwegs gewesen, um über den Einsatz zu berichten. „Sie werden von den Taliban also genauso mit der Bundeswehr in Verbindung gebracht, wie die Übersetzer.“
Doch alle Verfahrensfragen seien „letztlich belanglos, da es bis heute keine der versprochenen Ansprechstellen gibt, wo die Betroffenen sich hin wenden können“, sagte Grotian. Das Patenschaftsnetzwerk unterstützt afghanische Ortskräfte nach ihrer Ankunft in Deutschland.