Der württembergische König hatte 1817, in der Hungersnot nach dem "Jahr ohne Sommer", Gottesdienste und Gebete zur Erntebitte angeordnet. Nach rund 150 Jahren waren sie in Vergessenheit geraten, ehe sie ab den umweltbewussten 1980er Jahren wiederauflebten. Inzwischen legt das Evangelische Bauernwerk in Württemberg jedes Jahr eine Arbeitshilfe für Erntebittgottesdienste auf, um Kirchengemeinden und Gemeindegruppen Tipps für die Gestaltung zu geben. Thema für 2021 ist ein Zitat aus dem biblischen Buch Jeremia: "… dass ihre Seele sein wird wie ein wasserreicher Garten und sie nicht mehr verschmachten sollen".
Landesbauernpfarrerin Sabine Bullinger erläutert, dass diesmal der Bezirksarbeitskreis Freudenstadt des Bauernwerks die Texte, Lied- und Gebetsvorschläge erarbeitet hat. Gerade in Corona-Zeiten spreche die prophetische Verheißung Menschen an: "Viele Menschen fühlen sich ausgelaugt von dem, was das Leben in Corona-Zeiten mit sich bringt", sagt sie. Viele spürten eine "innere Dürre", die sich ausbreite und das Leben beeinträchtige. "Das Bild des wasserreichen Gartens, im ausgewählten Bibelvers auch auf die ausgetrocknete Seele bezogen, hat uns im Vorbereitungsteam sehr angesprochen", berichtet Bullinger. Sie hoffe daher, dass das Thema der diesjährigen Erntebittgottesdienste viele Menschen aus Stadt und Land anspricht.
Selbstkritik und Offenheit
Allein am letzten Junisonntag wurden der "Kirche im Grünen" der württembergischen Landeskirche zehn geplante Erntebittgottesdienste für die Veröffentlichungsliste gemeldet. Erntebittgottesdienste seien eine gute Gelegenheit, auf Landwirtsfamilien zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, sagt die Landesbauernpfarrerin. Nicht zuletzt weil "Gottesdienste im Freien in Corona-Zeiten mit Abstand die beste Art, Gottesdienst zu feiern" seien, hofft Bullinger auf viele Kontakte zwischen Landwirten und Interessierten.
Stellvertretend für viele Bauernfamilien haben Carina Heinzelmann, Christian Kimmich, Nathalie Kirschmann und Deborah und Peter Weigold aus dem Bezirk Freudenstadt für die Arbeitshilfe zusammengetragen, was sie als Landwirte derzeit besonders bewegt. Häufig fühlen sie sich beispielsweise "gebrandmarkt als Tierquäler, als Umweltvergifter, als Verursacher von allem Möglichen". Kritik weisen sie nicht pauschal von sich: "Es ist immer wichtig, dass wir selbstkritisch gewisse Dinge hinterfragen." Sie wünschen sich aber auch fragende und nicht urteilende Gesprächspartner.
Verändertes Bewusstsein
Es sei auch "nicht von der Hand zu weisen, dass man wirtschaftliche Sorgen hat", schreiben die aktiven Landwirtinnen und Landwirte in der Arbeitshilfe. "Die Preise fallen immer weiter, und viele Betriebe können diesen Preisverfall nicht mehr länger überstehen", erklären sie. Die afrikanische Schweinepest oder dass Bauern ihre zum Schlachten vorgesehenen Tiere nicht verkaufen konnten, weil die Schlachthöfe geschlossen waren, machten die Situation nicht einfacher. "Man stellt sich die Frage, warum die tägliche Arbeit, die wir leisten, immer weniger wert ist", klagen die Landwirte.
Gefreut haben sie sich, dass die Corona-Krise etliche Menschen dazu bewegte, nach Lebensmitteln direkt aus der Nachbarschaft zu fragen, dass Hofläden plötzlich Zulauf hatten. Und trotz aller Sorgen, die das Wetter, die Wirtschaft und die Politik machen, sagen die fünf Landwirtinnen und Landwirte: "Landwirtschaft ist Leidenschaft - genau das macht uns aus. Wir wissen jeden Tag, warum wir aufstehen. Wir lieben es, mit unseren Tieren zu arbeiten, Äcker zu bearbeiten, in den Wald zu gehen oder in den Weinber - wir schätzen, was Gott uns geschenkt hat."
Mit ihrer Vorlage für einen Erntebittgottesdienst wollen sie deshalb Hoffnung machen - auch wenn es für viele Probleme in der Landwirtschaft und anderswo einfach noch keine Lösung gibt. Sie lassen deshalb in einer kleinen Spielszene eine Mutter sagen: "Vergiss in all den Alltagswolken nicht, ab und zu in den Himmel zu gucken, gell."