Nürnberg, Berlin (epd). Die Tarifbindung in Deutschland ist einer neuen Erhebung zufolge weiter rückläufig. Im Jahr 2020 arbeiteten 43 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit einem Branchentarifvertrag, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Mittwoch in Nürnberg mitteilte. 2019 lag dieser Wert noch bei rund 46 Prozent. „Der rückläufige Trend setzt sich damit fort“, sagte IAB-Forscherin Susanne Kohaut. Grüne und Linke forderten die Bundesregierung auf, das Tarifsystem politisch zu stützen.
Die Tarifbindung ist im Westen deutlich höher als im Osten, wie die Daten des IAB-Betriebspanels zeigen, einer jährlichen Befragung von rund 16.000 Betrieben. In rund 45 Prozent der westdeutschen und 32 Prozent der ostdeutschen Firmen galten Branchentarifverträge. Im Osten lag die Quote 2019 noch bei 34 Prozent.
Die Firmen- oder Haustarifverträge blieben den Angaben nach im Vergleich zum Vorjahr weitgehend konstant: Diese Form der Tarifbindung galt für acht Prozent der westdeutschen und für elf Prozent der ostdeutschen Beschäftigten. Die Jobs in 47 Prozent der westdeutschen und 57 Prozent der ostdeutschen Unternehmen hatten keinen Tarifvertrag.
Die Tarifbindung nimmt mit der Betriebsgröße zu, erklärte die Forschungseinrichtung, die zur Bundesagentur für Arbeit (BA) gehört. Besonders hoch ist der Anteil der Beschäftigten, die unter einen Branchentarifvertrag fallen, im Bereich Öffentliche Verwaltung/Sozialversicherung mit 80 Prozent. Besonders gering ist der Anteil im Bereich Information und Kommunikation mit elf Prozent.
Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte und aktive Arbeitsmarktpolitik der Grünen sagte, Tarifverträge garantierten nicht nur bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, sondern führten auch zu einem fairen Wettbewerb. „Wir fordern daher seit langem, dass das Tarifvertragssystem politisch gestützt werden muss.“
Die Grünen forderten schon lange, die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in einem Bundestariftreuegesetz regeln, damit nur Unternehmen zum Zuge kommen, die tarifgebunden sind oder mindestens entsprechende Löhne zahlen, erklärte Müller-Gemmeke. Denn heute profitierten von öffentlichen Aufträgen in der Regel die Unternehmen mit den niedrigsten Löhnen.
Pascal Meiser, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion, stellte der Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus. Die Stärkung der Gewerkschaften und die Erhöhung der Tarifbindung seien von zentraler Bedeutung, sagte er. Seine Partei habe dazu bereits konkrete Vorschläge vorgelegt. Tarifverträge müssten auch gegen den Willen der Arbeitgeberverbände für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Auch sei die Vergabe öffentlicher Aufträge sowie staatliche Wirtschaftsförderung an die Zahlung von Tariflöhnen zu koppeln, erklärte Meiser.