Berlin, Santiago (epd). Rund drei Jahrzehnte nach dem Ende der Pinochet-Diktatur soll Chile eine neue Verfassung mit demokratischer und sozialer Handschrift bekommen. Etwa 14 Millionen Stimmberechtigte waren am Samstag und Sonntag aufgerufen, eine Verfassunggebende Versammlung zu wählen, die das Grundgesetz aus der Diktaturzeit (1973-1990) ersetzen soll. Viele Chilenen erhoffen sich davon mehr soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Respekt für die Rechte der Ureinwohner.
Mehr als 2.000 Kandidatinnen und Kandidaten haben sich für die 155 Sitze des Verfassungskonvents beworben. Im Oktober hatten sich bei einem Referendum knapp 80 Prozent der Wähler für ein neues Grundgesetz ausgesprochen. Neben dem Verfassungskonvent standen am Wochenende auch Bürgermeister sowie Gemeinde- und Stadträte zur Wahl.
Die Chilenen setzen große Hoffnungen in eine neue Verfassung. So sind im aktuellen Grundgesetz die Rechte der indigenen Völker nicht verankert. Es fehlen grundlegende soziale Rechte, und die Rolle des Staates wurde auf ein Minimum reduziert. Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen in der alten Verfassung den Grund für die große soziale Ungleichheit und verringerte Bildungschancen für einen Großteil der Bevölkerung.
17 der 155 Sitze des Verfassungskonvents sind für die zehn offiziell anerkannten indigenen Völker reserviert, die über zehn Prozent der 19 Millionen Einwohner Chiles ausmachen. Nach ihrer Konstituierung hat die Versammlung ein Jahr Zeit, um eine neue Verfassung auszuarbeiten, die dann der Bevölkerung in einem weiteren Referendum zur Abstimmung vorgelegt wird.
Zu dem Beschluss, eine neue Verfassung auszuarbeiten, kam es nach wochenlangen Massendemonstrationen, auf die der konservative Präsident Sebastián Piñera reagierte. Die teils gewaltsamen Proteste hatten sich vor rund eineinhalb Jahren an den hohen Lebenshaltungskosten und der sozialen Ungleichheit entzündet. Millionen Menschen nahmen an Demonstrationen teil. Der Polizei wurde vorgeworfen, mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Protestierenden vorzugehen. Die Proteste weiteten sich zu einer Bewegung für eine Verfassungsreform aus.