"Querdenken" wird Fall für das Bundesamt für Verfassungsschutz

"Querdenken" wird Fall für das Bundesamt für Verfassungsschutz
"Querdenken" sucht die Nähe zu Extremisten und negiert das staatliche Gewaltmonopol - so urteilen Sicherheitsbehörden über die Bewegung, die mit Ausschreitungen auf Demos Schlagzeilen macht. Sie wird nun bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet.

Berlin (epd). Nach mehreren Landesämtern nimmt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die "Querdenken"-Bewegung ins Visier. Wie das Bundesinnenministerium am Mittwoch bestätigte, werden künftig bundesweit Personen und Gruppen beobachtet. Anmelder und Organisatoren der "Querdenken"-Demonstrationen "zeigen zum Teil deutlich, dass ihre Agenda über die reine Mobilisierung zu Protesten gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen hinausgeht", erklärte Ministeriumssprecher Steve Alter. Verbindungen zu "Reichsbürgern" und Rechtsextremisten würden in Kauf genommen oder gesucht, das Ignorieren behördlicher Anordnungen propagiert und letztlich das staatliche Gewaltmonopol negiert, sagte er.

"Ein solches Vorgehen ist insgesamt geeignet und zielt darauf ab, das Vertrauen in die staatlichen Institutionen und seine Repräsentanten nachhaltig zu erschüttern", erklärte Alter. Da die Akteure keiner bereits unter Beobachtung stehenden Gruppe eindeutig zugeordnet werden könnten, hat das Bundesamt nach seinen Worten eigens eine neue Kategorie - "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" - geschaffen. Damit würden Akteure und Gruppen nun bundesweit beobachtet, entweder als Verdachtsfall oder als erwiesen extremistisch.

Bereits seit Beginn der staatlichen Corona-Maßnahmen sähen sich staatliche Einrichtungen und Volksvertreter vielfältigen Angriffen ausgesetzt, erklärte der Sprecher. Demokratische Entscheidungsprozesse würden verächtlich gemacht. Dabei entfalteten Verschwörungsmythen, rechtsextremes Gedankengut und antisemitische Stereotype eine erhebliche Wirkung. Die "Querdenken"-Bewegung wird bereits von mehreren Landesverfassungsschutzämtern beobachtet, darunter dem in Baden-Württemberg, wo die Bewegung ihren Ursprung hat.

Der Zentralrat der Juden, dessen Präsident Josef Schuster erst am Dienstag vor einer Radikalisierung der Corona-Proteste gewarnt hatte, begrüßte die Entscheidung. "Rechtsextremisten nutzen die Proteste gegen die Corona-Auflagen strategisch, um Anhänger zu gewinnen. Sie verbreiten darüber ihr Gedankengut bis tief in die Mitte der Gesellschaft", erklärte er am Mittwoch. Diese Entwicklung müsse unbedingt gestoppt werden.

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser sagte, mit "Querdenken" sei ein "Extremismus ganz neuer Art" entstanden. "Wir erleben seit Monaten eine zunehmende Radikalisierung und steigende gewalttätige Übergriffe", sagte er. Diese reichten von Angriffen auf Polizeibeamte und Journalisten am Rande von Demonstrationen bis zu Anschlägen auf das Robert Koch-Institut. Der Verfassungsschutz müsse als "Frühwarnsystem der Demokratie" genau hinschauen.

Begrüßt wurde die Beobachtung durch den Verfassungsschutz auch von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der Vize-Vorsitzende Jörg Radek sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (online), man habe bei der "Querdenken"-Bewegung zunehmend gesehen, "dass Medienvertreter attackiert wurden und Namen von Polizeikräften und Journalisten vor Ort auf der Demonstrationsbühne genannt und auf diese Weise diskreditiert wurden".

epd co/bm kfr