Tübingen, Frankfurt a.M. (epd). Die Länder in Afrika melden vergleichsweise wenige Corona-Fälle, aber die Tropenärztin Gisela Schneider befürchtet eine hohe Dunkelziffer. Laut der panafrikanischen Gesundheitsbehörde sind auf dem Kontinent bisher mehr als vier Millionen Menschen an Covid-19 erkrankt und etwa 110.000 Menschen gestorben. "Damit ist die Mortalitätsrate im Vergleich zu Europa oder den USA deutlich höher", sagte die Leiterin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission in Tübingen in einem Interview des Frankfurter Magazins "welt-sichten" (online/Donnerstag). Das zeige, dass die Dunkelziffer in Afrika wahrscheinlich sehr groß sei.
In den meisten Ländern fehlten Labore und Schnelltests. "Es erkranken und sterben Menschen in Gemeinden, in denen nie eine Diagnose gestellt wird", berichtete Schneider. Zudem fehle es an Beatmungsgeräten, Sauerstoff und Impfstoff. "Viele Menschen sterben an Corona, weil sie nicht effektiv behandelt werden können." Es wäre schon viel gewonnen, wenn das Gesundheitspersonal möglichst schnell geimpft würde.
Harte Lockdowns in vielen Ländern hätten die ersten Welle der Corona-Infektionen in Afrika eingedämmt. "Allerdings waren die indirekten Folgen verheerend. Viele Menschen haben ihren Lebensunterhalt verloren und wissen nicht mehr, wie sie überleben sollen", sagte Schneider. "Corona wirft viele Länder wieder weit zurück."
Dass afrikanische Regierungen die zweite Welle gelassener angehen, habe damit zu tun, dass Covid-19 für viele keine schwere Krankheit sei - im Unterschied etwa zu dem sehr oft tödlich verlaufenden Ebola-Fieber. "Unsere Partner aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo betonen immer wieder, dass Corona dort nur ein Problem unter vielen ist", erklärte Schneider. "In der Region werden jeden Tag Menschen umgebracht und viele Frauen sterben bei der Geburt, weil die allgemeine Gesundheitsversorgung so schlecht ist. Der ausschließliche Fokus auf Corona ist ein sehr europäischer Blick."
Die allgemeine Gesundheitsversorgung in Afrika leidet Schneider zufolge nicht so stark unter der Pandemie wie befürchtet. So laufe die antiretrovirale HIV-Therapie in den meisten Ländern weiter. "Das Problem ist eher, dass weniger Menschen überhaupt noch ins Krankenhaus gehen", sagte sie. Wer seinen Job verloren habe und nicht versichert sei, könne sich den Krankenhausaufenthalt oder Arztbesuch nicht leisten.