In einem Fragebogen hat Friedrich Selter einmal geschrieben, er ärgere sich über "Pingelsköppe". Das Wort meint soviel wie "kleinlicher Querulant" und wirft ein Licht auf die Herkunft des neuen Osnabrücker Regionalbischofs: Der 58-Jährige stammt aus Moers am Niederrhein. Nach der Schule pendelte Selter quasi zwischen Wuppertal nahe der alten Heimat und Göttingen, also zwischen der Evangelischen Kirche im Rheinland und der hannoverschen Landeskirche: Studium in beiden Städten, Vikariat in Göttingen, 17 Jahre Pfarrer in Wuppertal-Elberfeld, zuletzt elf Jahre Superintendent in Göttingen. Und nun also Osnabrück. Am gestrigen Sonntag hat ihn Landesbischof Ralf Meister in sein neues Amt eingeführt: "Es waren gesegnete Jahre in beiden Städten. Ich hoffe, dass es mir auch gut gelingt, wenn ich jetzt mal vom Pfad abweiche", sagt Selter und lacht.
Dabei kennt der designierte Regionalbischof seine neue Heimatstadt noch gar nicht so richtig. Erst seit kurzem wohnt er in Osnabrück. Die Marienkirche, in der er am Sonntag erstmals predigen wird, ist ihm schon vertraut. Mit seiner Frau, der Kulturpädagogin Stefanie Selter, hat er sich auch den katholischen Dom schon angesehen. Ein gutes ökumenisches Miteinander kenne er aus Göttingen und das werde er auch in Osnabrück pflegen, sagt Selter. "Mir ist wichtig, dass wir eine lebendige und offene Kirche sind, die nahe bei den Menschen ist." Er will ein Vertrauensverhältnis zum katholischen Bischof Franz-Josef Bode aufbauen und ökumenische Gottesdienste feiern. "Aber auch über die möglicherweise noch kontroversen Themen möchte ich diskutieren."
Ökumene und Flüchtlinge sind Herzensthemen
Aus Göttingen nimmt er nicht nur die Ökumene, sondern auch das Flüchtlingsthema mit an seine neue Wirkungsstätte. Im Grenzdurchgangslager Friedland war er Vorstandsvorsitzender des dortigen Vereins "Innere Mission und Evangelisches Hilfswerk". Einige Monate hat er den Lagerpastor vertreten. Auch die Menschen im Ankunftszentrum Bramsche-Hesepe wird er in seine Arbeit einbeziehen: "Ich will den Menschen zeigen: Hier seid ihr willkommen, könnt zur Ruhe kommen und Perspektiven entwickeln." Die Kollekte im Einführungsgottesdienst ist für die Flüchtlingsarbeit der Osnabrücker Diakonie bestimmt. Grundsätzlich hält der leitende Theologe es für selbstverständlich, "dass Kirche sich in gesellschaftlichen Fragen zu Wort meldet und Verantwortung übernimmt".
Am Herzen liegt ihm auch die soziale Frage. Das ließ Selter etwa in einer Andacht zum 1. Mai vergangenen Jahres erkennen. Die Wachstumsideologie produziere Gewinner und Verlierer, kritisierte der Vater von drei erwachsenen Töchtern. Nötig sei aber ein Ausgleich zwischen Reichen und Armen. "Kein Auskommen mit dem Einkommen passt nicht zu dieser biblischen Sicht auf die Gesellschaft. Eine Gesellschaft ohne Verlierer ist zugleich die Grundlage für Frieden."
Freut sich auf Begegnungen in seinem Sprengel
Auch in der Corona-Krise komme es mehr denn je darauf an, "dass einer den anderen trägt", sagte er im vergangenen Jahr in einem Gottesdienst im Autokino in Göttingen. Das sei "das, was man heute Solidarität nennt". Dazu gehört für den Theologen auch das Miteinander von Kirchengemeinden und Diakonie. In Göttingen habe er mit anderen ein großes "Forum Diakonie und Kirche" mitten in der Innenstadt verwirklicht. "Dieses und viele weitere Projekte habe ich mit einem weinenden Auge verlassen."
Für den Neustart ist Selter dennoch optimistisch. Dass der mitten in die Corona-Krise fällt, ficht ihn nicht an. Es sei auch eine Chance, in vielen kleinen Begegnungen und bei Spaziergängen die Menschen und Orte in seinem neuen Sprengel kennenzulernen, findet er. Der umfasst im wesentlichen Stadt und Landkreis Osnabrück sowie den Landkreis Diepholz mit 112 Kirchengemeinden und 300.000 Gläubigen.
In seiner Freizeit hört der Regionalbischof gerne Musik - von Klassik über Jazz bis Rock. Er spielt selbst E-Bass und in einer Swing-Band auch Kontrabass. Selter verzichtet seit 30 Jahren aufs Fernsehen und fährt leidenschaftlich gerne Fahrrad - mal gemütlich, mal sportlich per Mountainbike oder Rennrad. "Ich freue mich schon, mit dem Rad das Osnabrücker Land zu erkunden."