Berlin (epd). Nach dem Nein der Caritas zu einem Branchentarifvertrag in der Altenpflege hat die Diakonie am Freitag keine eigene Entscheidung mehr getroffen. Die Dienstgeber in der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie hätten die Abstimmung abgelehnt, sagte der Sprecher der Mitarbeiterseite, Andreas Korff, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dem Verfahren zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Altenpflege-Tarifvertrags hätten beide kirchlichen Sozialverbände, Caritas und Diakonie, zustimmen müssen. Die Entscheidung bei der Caritas, die das vorläufige Aus für einen Flächentarif bedeutet, sorgt unterdessen weiter für Kritik.
Korff zeigte sich auch von den Diakonie-Arbeitgebern enttäuscht. Die Mitarbeiterseite habe abstimmen und ein Zeichen für einen Branchentarif setzen wollen. Wegen der Ablehnung der Dienstgeberseite sei aber keine Mehrheit zustande gekommen. In der Arbeitsrechtlichen Kommission der Diakonie sitzen je zwölf Mitarbeiter- und Dienstgebervertreter. Die Beratungen fanden virtuell statt.
Diakonie-Präsident Lilie Ulrich Lilie erklärte, für die Beschäftigten der Diakonie ändere sich nichts. Für sie gelte weiter das kirchliche Tarifwerk, dass in aller Regel deutlich höhere Entgelte vorsehe als die Vereinbarungen von BVAP und ver.di. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung der Pflegekräfte bleibe aber "ganz oben auf der politischen Tagesordnung". Dazu brauche es eine umfassende Pflegereform, die auch sicherstelle, dass künftige Lohnerhöhungen refinanziert würden. "Die Kosten dürfen nicht durch steigende Eigenanteile den Pflegebedürftigen aufgebürdet werden", sagte Lilie.
Der Vorsitzende der Kommission, Thomas Sopp von der Dienstgeberseite, sagte dem epd: "Wir brauchen nun von der Politik ein Zeichen, dass es weitergeht." Notwendig seien bessere Mindestarbeitsbedingungen und eine Pflegereform. Die Arbeitsrechtliche Kommission der Diakonie habe über den gescheiterten Weg eines Branchentarifs nach dem Nein der Caritas nicht mehr abstimmen können, erklärte Sopp.
Der zwischen ver.di und der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) abgeschlossene Tarifvertrag hätte bei einer Erstreckung auf die ganze Branche die bisherigen Mindestlöhne ersetzt. Die niedrigsten Vergütungen wären dadurch um etwa 25 Prozent angehoben worden. In der Pflegebranche arbeiten mehr als eine Million Beschäftigte, rund 300.000 bei den kirchlichen Trägern.
Der Vorstandsvorsitzende der diakonischen Arbeitgeber in Niedersachsen, Rüdiger Becker, kritisierte, mit dem Veto der Caritas sei eine große Chance vertan worden. "Dieses Nein ist fatal. Mit einem flächendeckenden Tarifvertrag in der Pflege ist in der nächsten Zeit kaum zu rechnen", sagte er dem epd. Becker war an der Ausarbeitung des Tarifvertrags auf Arbeitgeberseite beteiligt. Es sei zu erwarten, dass sich nun mehr Pflegekräfte den Gewerkschaften zuwendeten. Es werde für die kirchlichen Verbände nicht leichter, ihren Beschäftigten zu erklären, warum die Gewerkschaften bei kirchlichen Lohnverhandlungen nicht mit am Verhandlungstisch säßen.
Deutliche Kritik kam aus der SPD-Bundestagsfraktion. Die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der Fraktion, Kerstin Tack, forderte als Konsequenz am Freitag in Berlin, die Autonomie der Kirchen bei der Lohnfindung auf den Prüfstand zu stellen.
Sie sei "von der Entscheidung entsetzt", sagte Tack. Die Caritas lehne einen Tarifvertrag für alle Beschäftigten in der Altenpflege ab, weil sie ihren Sonderstatus in Gefahr sehe. Wenn der katholische Verband das eigene über das gesellschaftliche Interesse an ordentlichen Arbeitsbedingungen stelle, "müssen wir prüfen, ob der Dritte Weg nicht eher ein Weg zulasten Dritter ist und geändert werden muss", erklärte Tack.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte nach dem Veto der Caritas erklärt, ein neuer Anlauf zu einem Branchentarif werde sehr viel Zeit kosten und angekündigt, die Pflegemindestlohn-Kommission neu zu berufen, damit man zumindest auf diesem Weg zu höheren Mindestlöhnen in der Altenpflege komme.
epd bm/lnb rks