Frankfurt a.M. (epd). Der Vorstoß hochrangiger Theologen, Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen zu ermöglichen, sorgt weiter für heftige Diskussionen in der evangelischen Kirche. Der Theologieprofessor Günter Thomas kritisierte, die vorgebrachte Idee lege "die Axt an die theologischen Grundlagen der Diakonie". Auch der Suizid sei ein "Urteil über lebenswertes und nicht lebenswertes Leben", zu dem aus christlicher Sicht kein Mensch das Recht und die Einsicht habe. Der Hamburger Diakonie-Chef Dirk Ahrens sagte hingegen, die Debatte werde gebraucht. Man dürfe nicht versuchen, "die Diskussion unter dem Tisch zu halten".
Der Präsident des Diakonie-Bundesverbandes, Ulrich Lilie, hatte sich gemeinsam mit anderen Vertretern der Kirche für die Möglichkeit zur Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen ausgesprochen. Die offizielle Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schließt organisierte Suizidassistenz bislang aus. Die Hilfe beim Suizid, bei dem in der Regel Sterbewilligen ein todbringendes Medikament überlassen wird, ist zu unterscheiden von der aktiven Sterbehilfe, bei der ein Dritter das Mittel selbst verabreicht. Sie steht in Deutschland unter Strafe.
Thomas erklärte am Sonntag, es trage geradezu "Züge des Irrwitzigen", dass dieser Vorstoß inmitten der Corona-Krise publiziert worden sei. Während Mitarbeiter der Heime als Folge der Pandemie mit der Erschöpfung rängen, fielen ihnen protestantische Theologen in den Rücken, sagte der an der Ruhr-Universität in Bochum lehrende Professor und württembergische evangelische Pfarrer.
Thomas warnte vor einem Vertrauensverlust evangelischer Einrichtungen, sollten sie den Suizid unterstützen. Menschen müssten vertrauen können, dass sie auch dann, wenn sie sich in Not und Verzweiflung selbst nicht mehr trauen könnten, gut aufgehoben seien. Da kirchlich-diakonisches Handeln im Auftrag Gottes geschehe, müsse es sich an seinen Geboten orientieren.
Der Hamburger Diakonie-Chef Ahrens rief die Kirche dazu auf, die Debatte über Suizidassistenz offensiv zu führen. "Momentan werden Positionen von leitenden Geistlichen hochgehalten, die vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts formuliert wurden. Das geht nicht mehr", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ahrens ist auch Vorsitzender des Ausschusses Diakonie im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung.
Ahrens sagte, die Menschen vor Ort in den diakonischen Einrichtungen müssten konkret mit dem Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgehen. "Als Leitende müssen wir ihnen dabei helfen." Nicht zuletzt durch das Verfassungsgerichtsurteil sähen sich Einrichtungen in der ambulanten Pflege, in den Pflegeheimen und Krankenhäusern immer wieder mit dem Wunsch konfrontiert, dass Menschen ihr Leben beenden wollen.
Auslöser für die Debatte ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe im vergangenen Februar. Die Verfassungsrichter hatten den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben, die sich gegen das 2015 verabschiedete Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung richteten. Die Karlsruher Richter erklärten das entsprechende Gesetz für nichtig und begründeten das mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube.
Wichtigstes Ergebnis der innerkirchlichen Diskussion müssten Schutzkonzepte sein, betonte Ahrens. "Darin liegt der Schlüssel, um Sorgen und Vorbehalte auszuschließen", sagte der Diakoniechef: "Der Tod darf weder zum Businessmodell noch eine leichte Variante werden, um anderen nicht mehr zur Last zu fallen." Man brauche Verfahren und eine Vorstellung davon, wie Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen überhaupt ablaufen könnte, "bevor wir entscheiden können, ob assistierter Suizid in diakonischen Einrichtungen denkbar wäre".
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