TV-Tipp: "One Life"

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27. Januar, ZDF, 22.15 Uhr
TV-Tipp: "One Life"
"Was hat das mit uns zu tun?", fragen sich viele Jugendliche, wenn sie in der Schule mit dem Horror des Holocaust konfrontiert werden. Eine ganz ähnliche Frage stellt der Chefredakteur einer Provinzzeitung.

Nicholas Winton wird 1988 bei der Zeitung vorstellig. Der damals knapp achtzig Jahre alte Rentner ist beim Ausmisten auf ein Album gestoßen, das die Rettung jüdischer Kinder aus Prag dokumentiert. Auf Umwegen landet die Information bei Betty Maxwell (Marthe Keller), der Frau des Verlegers Robert Maxwell. Sie lädt Winton zum Tee ein und glaubt zunächst, es habe sich um eine Handvoll Jungen und Mädchen gehandelt. Zu ihrer Verblüffung stellt sich jedoch heraus, dass er bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs 669 Kindern die Ausreise nach England ermöglicht hat. 

Dank Steven Spielbergs Meisterwerk "Schindlers Liste" (1993) kennt alle Welt den Unternehmer Oskar Schindler, dem 1.200 Menschen ihr Leben verdanken. Wintons Geschichte mag nicht ganz so spektakulär sein, weil seine Arbeit vor allem in der Überwindung bürokratischer Hürden und der Suche nach Pflegefamilien bestand, aber sie verdient ebenfalls höchste Anerkennung.

Abgesehen davon ist James Hawes’ historisches Drama schon allein wegen Anthony Hopkins sehenswert: Der zweifache "Oscar"-Preisträger verkörpert den früheren Börsenmakler mit einer Zurückhaltung, die wohl auch dem Wesen Wintons entsprach. "Es geht nicht um mich", betont er mehrmals.

Geschickt verknüpft das Drehbuch (Lucinda Coxon, Nick Drake) die Gegenwart der späten Achtziger mit den Erinnerungen Wintons (in den Rückblenden von Johnny Flynn verkörpert): 1938 reist der damalige Börsenmakler nach Prag. Sein Freund Martin ist dort Mitglied des Britischen Komitees für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei. In Prag hausen Tausende vor den Nationalsozialisten aus Deutschland und Österreich geflohene größtenteils jüdische Familien in erbärmlichen Verhältnissen und zum Teil unter freiem Himmel. Als Winton erkennt, dass vor allem das Leben der Kinder durch Hunger, Kälte und Krankheiten bedroht ist, organisiert er mit Hilfe seiner Mutter Babette (Helena Bonham Carter) den Transport von immer größeren Gruppen. Die Wintons hießen einst Wertheim, seine jüdischen Eltern sind bereits 1907 nach England emigriert. 

Mit großen Kinobildern rekonstruiert Hawes das Elend in den Flüchtlingslagern; gerade die in Prag errichteten Kulissen sind sehr eindrucksvoll. Seine intensivsten Momente hat "One Life" allerdings in den persönlichen Szenen, wenn Winton zum Beispiel einen Rabbi überzeugen will, das Schicksal der Kinder in seine Hände zu legen. Die Rolle ist nur klein, aber Samuel Finzi macht daraus auch dank der Ironie, mit der er seine Figuren gern versieht, einen großen Auftritt. Rabbi Hertz will wissen, warum sich Winton diese gewaltige Aufgabe aufbürde, und das für Menschen, die ihm völlig fremd seien. Der christlich aufgewachsene Brite deutet kurz seine jüdische Familiengeschichte an, versichert jedoch, er sei Europäer, Agnostiker und Sozialist. Er wolle nicht tatenlos zusehen, wenn jemand in Not sei: "Ich kann nicht anders."

Ähnlich überzeugend agiert Babette bei der Einwanderungsbehörde. Dort will man nicht auch noch fremde Kinder ins Land holen, wenn schon die eigenen nicht genug zu essen haben. Spätestens jetzt wird offenkundig, warum die Verantwortlichen der Meinung waren, es sei genau der richtige Zeitpunkt, um diesem humanitären Engagement ganz gewöhnlicher Menschen ein filmisches Denkmal zu setzen. Der Titel "One Life" (ein Leben) lässt sich auf vielfältige Weise deuten, aber die naheliegendste ist der berühmte Talmud-Spruch: "Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt". Winton, der sich sein ganzes Leben lang für Notleidende eingesetzt hat, handelte damals nach der Devise "Wenn etwas nicht unmöglich ist, dann muss es einen Weg geben." So lautet auch der Titel eines Buches, das seine Tochter geschrieben hat; die Biografie diente als Vorlage für das Drehbuch.

Emotionaler Höhepunkt des Films ist ein Auftritt Wintons in der TV-Show "That’s Life", in der er zu seiner völligen Überraschung auf einige Dutzend der mittlerweile um die sechzig Jahre alten Flüchtlingskinder trifft. Hawes hat bei der Inszenierung seines Kinodebüts auf Pathos, Melodramatik und Sentimentalitäten verzichtet, aber in diesem Moment bleibt kein Auge trocken; erst recht, wenn man weiß, dass das Studiopublikum der nachgestellten Sendung aus den Nachkommen von "Nickys Kindern" besteht, wie die Geretteten schließlich genannt wurden.