Die Stellungnahme evangelischer Theologen zur Möglichkeit des assistierten Suizids in kirchlichen Einrichtungen hat Kritik hervorgerufen. "Wer Selbsttötungshilfe zum geregelten Angebot macht, schwächt die eigenen Möglichkeiten, auch in schwieriger Lage zum Leben zu ermutigen", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sein Parteikollege Alexander Krauß forderte sogar den Rücktritt von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Seine Position sei eine "Bankrotterklärung", erklärte er.
Lilie sowie die Theologen Reiner Anselm und Isolde Karle hatten in einem am Montag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlichen Gastbeitrag dafür plädiert, sich der Suizidassistenz in kirchlichen Häusern nicht komplett zu verweigern. Kirchliche Einrichtungen sollten eine bestmögliche medizinische und pflegerische Palliativversorgung sicherstellen. Zugleich dürften sie sich aber dem freiverantwortlichen Wunsch einer Person nicht verweigern, ihrem Leben mit ärztlicher Hilfe ein Ende zu setzen, heißt es darin.
Kein Positionswechsel der EKD
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben, die sich gegen das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung richteten. Die Karlsruher Richter erklärten das entsprechende Gesetz für nichtig und begründeten das mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube.
Auch der Respekt vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müsse "nun wahrlich nicht bedeuten, dass solche Selbsttötungshilfe in diakonischen Einrichtungen zum geregelten Angebot wird", sagte Gröhe, der Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der Unionsbundestagsfraktion ist und der vom 1997 bis 2009 der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehörte. Zudem sei deutlich gemacht worden, dass der Beitrag der Theologen keinen Positionswechsel der EKD bedeute. Die EKD lehnt Sterbehilfe ab, hatte ein Sprecher betont. Auch die katholische Kirche ist gegen Sterbehilfe.
Der CDU-Politiker Krauß sagte, die Diakonie müsse alles tun, um Menschen am Lebensende zu begleiten. Wenn es die Möglichkeit zur Suizidassistenz gebe, "dann werden diese Menschen unter Druck gesetzt, doch endlich aus dem Leben zu scheiden", erklärte der Abgeordnete aus dem Erzgebirge.
Urteil schaffe ethisches Dilemma
Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, wandte sich gegen die liberale Auffassung von Diakonie-Präsident Lilie und den weiteren Verfassern. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stelle die diakonischen Einrichtungen vor ein ethisches Dilemma. So stelle sich die Frage, bis wohin Helfen und Begleiten gehen dürften, sagte Lenke dem epd. Ebenso sei zu beachten, dass es bei einem Recht auf assistierten Suizid auch Menschen geben müsse, die konkrete Hilfe leisteten. Eine Pflicht zur Assistenz könne es nicht geben. Ebensowenig komme eine Vergütung dieser Leistung infrage.
Unterstützung erhalten die Autoren des Gastbeitrags vom hessischen Diakoniechef Carsten Tag. Er stimme der Position zu, sagte Tag dem epd. Bedingung für die Zulassung eines assistierten Suizids in den Einrichtungen sei, dass Kirche und Diakonie "alles dazu beitragen, dass insbesondere schwerstkranken und sterbenden Menschen ein würdiges und weitgehend schmerzfreies Leben bis zum Schluss ermöglicht werden muss", sagte er.