Berlin (epd). Die Leiterin der neu geschaffenen Zentralstelle Hasskriminalität bei der Berliner Staatsanwaltschaft, Ines Karl, hat für mehr Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden geworben. Ein Ziel der seit September arbeitenden Zentralstelle sei es, das Vertrauensdefizit bei Betroffenen rechter Gewalt abzubauen, sagte Oberstaatsanwältin Karl am Donnerstag in einer Pressekonferenz des Mediendienstes Integration in der Bundeshauptstadt. 2019 seien in Berlin 2.410 Fälle von Hasskriminalität registriert worden, die meisten davon im Internet. "Wir gehen aber von einem sehr starken Dunkelfeld aus, das wir aufhellen wollen", sagte Karl. Dafür brauche die Justiz die Unterstützung der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen.
"Wir wollen diese Zusammenarbeit", betonte die Oberstaatsanwältin. Eine gemeinsame vertrauensvolle Basis sei für alle Seiten von Vorteil. Die Justiz könne zwar keine Phänomene bearbeiten, sondern nur den konkreten Fall. Aber anders als früher würden die Phänomene heute von den Ermittlungsbehörden "zur Kenntnis genommen und gesehen", betonte sie.
Thema der Pressekonferenz war die Frage, wie wachsam Justiz und Zivilgesellschaft bei rechtem Hass heute sind. Am 6. Dezember jährt sich der 30. Todestag des angolanischen Vertragsarbeiters Amadeu Antonio. Er gilt als eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt nach der deutschen Wiedervereinigung. Amadeu Antonio war am 24. November 1990 von Neonazis im brandenburgischen Eberswalde so zusammengeschlagen worden, dass er seinen schweren Verletzungen erlag. Polizei und Justiz wurden damals Versagen und eine zu laxe Verurteilung der Täter vorgeworfen.
Auch die Gründerin und Vorsitzende der nach ihm benannten Berliner Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, attestierte Sicherheitsbehörden, Politik und Gesellschaft damals komplettes Versagen. In den Köpfen der Ostdeutschen habe damals die DDR "quasi noch existiert", Rassismus sei in der Bevölkerung weit verbreitet gewesen und auch bei den "Zuständigen" habe eine antirassistische Haltung völlig gefehlt. Heute sei die Situation in Ostdeutschland sehr viel besser, "aber eine offene Gesellschaft haben wir noch nicht", sagte Kahane. Das sei der nächste Schritt, der gegangen werde müsse. Nach Zählungen der Stiftung sind seit der Wiedervereinigung mindestens 213 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen. Offizielle Zahlen sprechen von 103 Opfern.
Kahane betonte, dass es bei den Sicherheitsbehörden seit den NSU-Morden "ganz eindeutig" Fortschritte beim Thema Hasskriminalität gäbe. Dies anzuerkennen sei wichtig, damit weitere Fortschritte möglich werden: "Wir müssen uns sagen, wir haben etwas erreicht und jetzt geht es weiter."
Karl betonte, dass in den Sicherheitsbehörden die Debatten um mögliche rechtsextreme Einstellungen von Mitarbeitern "sehr kritisch begleitet" würden. So werde der Fall einer Berliner Staatsanwältin, die sich an den Corona-Leugner-Demonstrationen beteiligt hat und entsprechende Post in den sozialen Netzwerken verbreitet, innerhalb der Behörde viel diskutiert, etwa "ob das bei uns salonfähig sein sollte". Wenn entsprechende Straftaten begangen werden, werde auch in den eigenen Reihen ermittelt, betonte Karl.