Siegen (epd). Forscher der Universität Siegen untersuchen, wie Videokonferenzen Arbeiten, Lernen und das soziale Miteinander beeinflussen. Der Stellenwert des Zusammenseins in einem Raum habe sich durch die Corona-Pandemie "entscheidend verändert", erklärte die Hochschule am Montag. Trotz eines hohen Grades an Digitalisierung in der Gesellschaft sei das Potenzial von Videokonferenzen in Unternehmen und Institutionen vor der Pandemie "überhaupt nicht ausgereizt" worden, sagte der Siegener Medienwissenschaftler und Projektleiter Axel Volmar.
Für ihr Projekt analysierten die Forscher bisher, wie das Thema in englischsprachigen Tweets von Privatpersonen, Institutionen und Firmen von Ende Februar bis Ende April diskutiert wurde. Dabei habe sich gezeigt, dass vor der Corona-Pandemie der Bedarf an Videokonferenzen eher gering gewesen sei. So sei etwa der Anbieter Zoom allenfalls in Tech-Firmen und Start-Ups genutzt worden, in denen ohnehin schon lokal verteilt gearbeitet wurde, berichtete Volmar.
Kaum jemand habe sich damals vorstellen können, dass man mit Hilfe von Videokonferenzen über Entfernungen hinweg gemeinsam an einem Projekt arbeiten könne, zum Beispiel an einem Dokument oder einer Präsentation. Auch Telearbeit habe vor der Pandemie eine untergeordnete Rolle gespielt, die Haltung der meisten Chefs sei eher ablehnend gewesen, hieß es. "Nach den Ankündigungen von Lockdowns ab Mitte März konnte es den meisten dann gar nicht schnell genug gehen", betonte der Projektleiter.
Die Auswertung der Tweets habe auch gezeigt, dass für Menschen mit Behinderung eine größere Akzeptanz von Telearbeit von Vorteil sei. Deren allgemeine Verbreitung könnte eine verbesserte Teilhabe und einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zur Folge haben, so die Wissenschaftler. Ein Diskussionsthema auf Twitter sei aber auch gewesen, dass die ortsunabhängige Arbeit eher in Berufen möglich sei, die von Akademikern ausgeübt werden. Soziale Berufe in Pflege und Versorgung würden schlechter bezahlt, die Beschäftigten könnten nicht von zu Hause arbeiten und seien daher schlechter vor einer Infektion geschützt, hätten einige User kritisiert.
Die Siegener Forscher untersuchten nach eigenen Angaben aus rund 110.000 englischsprachigen Tweets zunächst diejenigen, die am häufigsten geteilt oder kommentiert wurden. Geplant ist den Angaben zufolge, die Zahl der untersuchten Tweets weiter zu erhöhen, zusätzliche Analysemethoden einzusetzen und demnächst auch deutschsprachige Tweets auszuwerten.