Aachen (epd). Als Konsequenz aus einem Gutachten zu sexuellem Missbrauch durch Kleriker hat der Aachener Bischof Helmut Dieser eine umfassende Aufarbeitung und einen "Kulturwandel" in seinem Bistum versprochen. "Was wir in der Vergangenheit getan haben, war zu wenig, es war nicht angemessen", bekannte der Bischof am Montag in einer Online-Pressekonferenz. Dieser kündigte eine unabhängige Kommission mit Experten unter anderem aus Wissenschaft, Justiz und Verwaltung an. Zudem wolle das Bistum Betroffene ermutigen, einen unabhängigen Beirat zu bilden, "der uns auf Augenhöhe gegenübersteht", sagte er.
Seinen Vorgänger Heinrich Mussinghoff sowie den früheren Generalvikar Manfred von Holtum rief Dieser auf, ihre Verantwortung für die mangelnde Aufklärung sexueller Gewalt durch Kleriker in ihrer Amtszeit zu übernehmen. "Ich wünsche mir von den Verantwortlichen ein Zeichen der Reue", sagte der Bischof.
Generalvikar Andreas Frick sagte, Ziel der Aufarbeitung sei eine neue "Kultur der Achtsamkeit" im Bistum. Dieser betonte, die neue unabhängige Kommission solle die Aufklärung nach einheitlichen Kriterien und Standards voranbringen. Durch die Bildung eines Betroffenen-Beirats solle sichergestellt werden, dass die Perspektive der Opfer künftig miteinbezogen werde.
Der Bischof kündigte außerdem Entschädigungszahlungen an Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kleriker an, die am 1. Januar starten sollen. Dazu wolle das Bistum auf Betroffene zugehen. Die Entschädigungen sollten nicht aus Kirchensteuermitteln gezahlt werden, sondern durch Verzicht "im System" aufgebracht werden. Darüber hinaus sollten Täter und Verantwortliche an den Zahlungen beteiligt werden. Dazu werde es einen solidarischen Fonds geben, in den "noch heute lebende Bischöfe und Priester" einzahlen sollten.
In dem am Freitag veröffentlichten Gutachten der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl ist die Rede von mindestens 175 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch insgesamt 81 Kleriker seit 1965. Die Gutachter, die im Auftrag des Bistums arbeiteten, warfen den jeweiligen Kirchenleitungen vor, die Täter geschützt, die Opfer hingegen ignoriert zu haben. Als einzige noch lebende Verantwortliche benannten sie den früheren Bischof Mussinghoff und dessen Generalvikar von Holtum, die beide bis 2015 im Amt waren.
Dieser sagte, er hoffe bei den Verantwortlichen auf Selbstreflexion: "Ich möchte einen gewissen Druck aufrechterhalten, dass sie sich zu ihrer persönlichen Verantwortung bekennen." Das könnte vor allem den Opfern helfen. Er habe in einem persönlichen Gespräch versucht, bei seinem Vorgänger Mussinghoff, ein "anderes Denken anzustoßen", und ihm geraten, auf angedrohte juristische Schritte gegen das Gutachten zu verzichten, sagte der Bischof. Es gehe ihm nicht um Stigmatisierung. Das Gutachten bewerte nicht die Lebensleistung Mussinghoffs und von Holtums, sondern ihren Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch.
Er wolle sich künftig für einen Kulturwandel im Bistum einsetzen, kündigte Dieser an. Bei dem fehlerhaften Umgang mit den Missbrauchsfällen habe es sich laut Gutachten um ein systemisches Versagen gehandelt. Deshalb müssten auch "systemische Konsequenzen" gezogen werden. Die Gutachter hatten unter anderem Klerikalismus als Ursache für "unverdiente Milde" gegenüber den Tätern verantwortlich gemacht. Priester dürften nicht als privilegierter Stand angesehen werden, sagte Dieser: "Weihe und geistliches Amt schützen nicht vor Haftung und Ahndung."
Der Bischof rief Betroffene auf, sich zu melden. "Ich bitte Sie: Helfen Sie uns, Missbrauch und sexualisierte Gewalt durch Kleriker unseres Bistums aufzudecken." Unter www.missbrauch-melden.de können Betroffene sexualisierter Gewalt dem Bistum erlittene Übergriffe mitteilen, auf Wunsch auch anonym. Geschultes Personal werde daraufhin unabhängige Verfahren einleiten und die Betroffenen unterstützen, hieß es.