Debatte um offene Kirchen während Corona-Einschränkungen

Debatte um offene Kirchen während Corona-Einschränkungen
Kritiker der Anti-Corona-Verordnungen beklagen, dass Gottesdienste stattfinden dürfen, Theater und Konzerthäuser aber geschlossen bleiben müssen. Experten verteidigen diese Praxis, ermahnen die Kirchen aber auch zu Verantwortung in der Krise.

Frankfurt a.M. (epd). Offene Kirchen während der Corona-Einschränkungen im November sind nach Einschätzung von Experten gerechtfertigt. "Seine Religion auszuüben, ist ein in der Verfassung verankertes Grundrecht", erklärte der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, in einem Gastbeitrag im Berliner "Tagesspiegel" (Online). Dies sei kein christliches Privileg, "es gilt für alle Religionsgemeinschaften". Auch Synagogen und Moscheen blieben offen. Der Göttinger Kirchenrechtler Hans Michael Heinig verteidigte die Ausnahmen für Gottesdienste von den Schließungen im November ebenfalls.

Aus diesem Entgegenkommen der Politik erwachse allerdings große Verantwortung, sagte Heinig, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Georg-August-Universität Göttingen und Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es wäre ein schwerer Fehler, jetzt seitens der Religionsgemeinschaften den Rechtsrahmen einfach auszuschöpfen und möglichst viele Veranstaltungen durchzuführen, weil diese nicht verboten sind.

"Wenn Religionsgemeinschaften ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollen, müssen sie sich freiwillig radikal begrenzen: auf Seelsorge, auf kleine und kurze geistliche Angebote, auf digitale Formate, auf den Schutz und die Begleitung der besonders Verletzlichen", sagte Heinig. Der drohende Zusammenbruch des Gesundheitssystems betreffe auch kirchliche Einrichtungen. "Nächstenliebe verlangt momentan wieder wie im Frühjahr Kontaktreduktion. Alle gesellschaftlichen Bereiche sollten dazu ihren Beitrag leisten, auch die Kirchen."

Der EKD-Kulturbeauftragte Claussen betonte, das Recht, seine Religion frei und unter Einhaltung aller Hygieneregeln auszuüben, sei ein Indikator für die Humanität einer Gesellschaft: "Dazu gehört übrigens nicht nur der Gottesdienst im engeren Sinn, sondern genauso die Seelsorge, also der Zugang von Seelsorgerinnen und Seelsorgern zu Altenheimen, Krankenhäusern oder Behinderteneinrichtungen." Gottesdienst und Seelsorge stärkten die Abwehrkräfte, so Claussen weiter: "Im Jargon von Hygienetechnokraten mag dies als 'nicht systemrelevant' gelten, für mich und viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche ist es lebensnotwendig."

In der Debatte um die neuen Corona-Beschränkungen werden Stimmen laut, die von Unfairness sprechen. Es wird beklagt, dass Gottesdienste stattfinden dürfen, Theater und Konzerthäuser aber geschlossen bleiben müssen. Gesellschaftspolitisch verstehe er den Unmut, räumte Heinig ein. "Gottesdienste und viele andere Veranstaltungen, auch kirchliche Gremiensitzungen, sind kontaktintensiver als ein Museumsbesuch. Kunst genießt einen ebenso intensiven Grundrechtsschutz wie Religion", betonte der Jurist. Auf die kirchlichen Hygienekonzepte könne niemand verweisen, um Differenzierungen zu begründen. Die müssten ja auch Theater, Opern und Museen vorweisen.

epd lob/cez hei