In diesen Tagen ist es ein Jahr her, dass Li Xiongbing verschleppt wurde. "Anfang Mai vergangenen Jahres bekam ich einen Anruf von der Polizei", erzählt der 38-Jährige in seinem Pekinger Anwalts-Büro. "Sie wollten mit mir reden." Li ging zu dem Treffen. Doch das war ein Fehler. Denn ohne Vorwarnung fuhr man ihn kurz darauf an einen unbekannten Ort: "Ich wurde drei Tage lang festgehalten, immer wieder verhört. Ich musste von meinen Fällen erzählen, von den Interviews mit Journalisten, bis ich schließlich unter Auflagen wieder freikam."
"Ich will mein altes Leben zurück"
Eine dieser Auflagen war: keine Journalisten treffen. Vor allem keine ausländischen. Monatelang hat Li Xiongbing sich daran gehalten. Doch nun gibt er ganz bewusst ein Interview. Er will den Druck abschütteln, der seit vergangenem Jahr auf ihm lastet. "Nicht, weil die Situation besser geworden ist, sondern weil ich wieder wie früher sein will", erzählt der Chinese. "Nach der Verhaftung im vergangenen Jahr habe ich mich verändert, ich habe aufgepasst, keine Interviews gegeben. Aber jetzt will ich mein altes Leben zurück."
Li Xiongbing ist ein unscheinbarer Mann. Er trägt eine dunkle Stoffhose und ein schwarzes Jackett. Der Anwalt gehört zu den paar Dutzend Juristen in Peking, die in den vergangenen Jahren auch heikle Mandate angenommen haben: Sie kämpfen für die Rechte der Wanderarbeiter oder vertraten Opfer eines Lebensmittelskandals. Diese Fälle sind nicht ungefährlich. Denn weil Politik und Wirtschaft in der Volksrepublik eng miteinander verflochten sind, fordern die Anwälte regelmäßig auch den Staat heraus, selbst wenn sich die Klage an ein Unternehmen richtet.
"Der Einfluss des Staates ist enorm"
Fühlt sich die Regierung davon bedroht, geht sie hart gegen die Anwälte vor. Das Schicksal des blinden Anwalts Chen Guangcheng, der jüngst für Schlagzeilen sorgte, weil er aus seinem Hausarrest in die US-Botschaft floh und China verlassen will, ist längst kein Einzelfall. Der bekannte Menschrechtsanwalt Gao Zhisheng ist seit mehreren Jahren eingesperrt. Die Anwältin Ni Yulan wurde 2002 nach eigenen Angaben so schwer misshandelt, dass sie seither im Rollstuhl sitzt. Erst vor knapp einem Monat wurde sie erneut verurteilt, zu drei Jahren hinter Gittern.
"Die Politik hat Angst, dass die dunklen Seiten der Macht ans Tageslicht kommen, deswegen behindert sie die Anwälte" erklärt Li Xiongbing. "Der Einfluss des Staates ist enorm. Sie kriechen in dein Leben und in deine Arbeit. Sie rufen dich an, manchmal vier Mal in der Woche. Sie wollen wissen, was Du gerade denkst, mit wem Du Dich triffst. Sie sagen Dir, dass Du bei bestimmten Themen den Mund halten sollst. Man kann sich kaum entziehen."
Einschüchterung, Überwachung, körperliche Gewalt
Chinas Regierung ist im Umgang mit den Anwälten nicht zimperlich. Sie greift zu Einschüchterung, Überwachung, körperlicher Gewalt. Spuren sie dennoch nicht, kann der Staat die Anwälte aus dem Verkehr ziehen - mit Lizenzentzug. Das passierte etwa Yang Huiwen vor drei Jahren. Nach einer Auseinandersetzung verlängerten die Behörden seine Erlaubnis, den Beruf auszuüben, nicht. Es war das Ende seiner Karriere, denn ohne Lizenz darf er keine Mandate übernehmen. "Leider ist es so: Die Lizenz zu bekommen, ist zwar schwierig. Aber man ist sie schnell wieder los," sagt Yang Huiwen.
Als China 2001 der Welthandelsorganisation WTO beitrat, dachten Anwälte wie Yang Huiwen oder Li Xiongbing, die Volksrepublik werde sich nun in Richtung Rechtsstaat entwickeln. Doch das Tauziehen um die Zukunft Chen Guangchengs zeigt: Im Reich der Mitte ist das Recht fragil. Das Schicksal der Anwälte ebenso.