Münster (epd). Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das coronabedingte Verbot der Prostitution in Nordrhein-Westfalen vorläufig außer Kraft gesetzt. Die vollständige Untersagung aller sexuellen Dienstleistungen verstoße voraussichtlich gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, erklärte das Gericht in einer Eilentscheidung am Dienstag (AZ: 13 B 902/20.NE). Das Gericht gab damit dem Antrag eines Unternehmers statt, der in Köln ein Erotik-Massagestudio betreibt. Die Landesregierung kündigte eine Prüfung der Entscheidung an.
Zwar sei das Infektionsgeschehen weiterhin dynamisch und der Erlass von Schutzmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung daher grundsätzlich gerechtfertigt, führte das Gericht aus. Inzwischen habe es jedoch weitgehende Lockerungen in nahezu allen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen gegeben. Daher sei nicht nachvollziehbar, dass bei sexuellen Dienstleistungen nach wie vor ein vollständiger Ausschluss von Infektionsgefahren erforderlich sei. Bei auf zwei Personen beschränkten sexuellen Kontakten sei die Gefahr zahlloser Infektionsketten geringer als bei anderen bereits zugelassenen Veranstaltungen.
Es sei "nicht ersichtlich, dass das mit dem Ausstoß von Aerosolen verbundene Risiko der Ansteckung bei sexuellen Handlungen zweier Personen deutlich größer sei als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Personen, die zum Teil durch eine ausgelassene Atmosphäre mit Musik, Tanz und dem Konsum alkoholischer Getränke geprägt seien", erklärte das Gericht in dem unanfechtbaren Beschluss. Zu einer erhöhten Atemaktivität und dem damit verbundenen vermehrten Ausstoß von möglicherweise virushaltigen Aerosolen komme es beispielsweise in Sportstätten, wo die Ausübung nicht-kontaktfreier Sportarten gestattet sei, und in Fitnessstudios.
Die Landesregierung will das Urteil prüfen. Der stellvertretende Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) verwies darauf, dass eine Kontaktnachverfolgung der Kunden schwierig werde, weil die Freier ja meist Wert auf Diskretion legten. Zudem gebe es bei der Prostitution ein "ernsthaftes Problem", weil es dort illegale Beschäftigung und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gebe. Das sei ein schwieriges Feld, die Politik müsse "sehr, sehr ernst mit dem Thema umgehen". Zudem sei das aktuelle Gesetz zur Erlaubnis der Prostitution nicht "der Weisheit letzter Schluss".
Auch das NRW-Gesundheitsministerium kündigte eine Prüfung der Entscheidung an. Es sei gut, dass in einem Rechtsstaat Gerichte Recht sprechen, an das sich die Institutionen zu halten hätten, sagte ein Ministeriumssprecher der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Mittwoch). Die Landesregierung werde den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts prüfen und zeitnah über die daraus zu ziehenden Konsequenzen beraten.
Die Fraktion der Grünen im Landtag forderte die Landesregierung auf, den Runden Tisch Prostitution NRW wieder einzuberufen und mit allen Beteiligten Lösungen für den Bereich der Prostitution zu finden. "Auch Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter brauchen eine Perspektive und dürfen nicht in die Illegalität gedrängt werden", sagte die stellvertretende Vorsitzende und Sprecherin für Frauen der Grünen, Josefine Paul. Nun müssten schnell tragfähige Infektionsschutz- und Hygienekonzepte erarbeitet werden.