Berlin (epd). Der neue Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn erwartet von den Sicherheitsbehörden mehr Engagement gegen Judenfeindlichkeit. Antisemitismus als wesentliche "Binde-Ideologie" sei den Sicherheitsbehörden schon lange bekannt, ihm sei aber bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit beigemessen worden, sagte der Politik- und Sozialwissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Zukunft werde zeigen, ob die Behörden die aktuelle Aufmerksamkeit für Antisemitismus beibehalten und verstärken, "was dringend geboten" sei, so Salzborn.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte am Montag erstmals ein "Lagebild Antisemitismus" veröffentlicht. Da der Berliner Verfassungsschutz vor wenigen Wochen ebenfalls eine Veröffentlichung zum Thema "Antisemitismus in verfassungsfeindlichen Ideologien und Bestrebungen" vorgelegt habe, hoffe er auf einen entsprechenden "Paradigmenwechsel" bei den Sicherheitsbehörden, sagte Salzborn, der auch Professor für Politikwissenschaft an der Uni Gießen ist.
Neben dem Rechtsextremismus nennt der Verfassungsschutz den Islamismus als Gefahr für die Juden in Deutschland. Im Islamismus beruhten Vorurteile gegen Juden auf dem Feindbild des "Judenstaats Israel". Dieser sogenannte antizionistische Antisemitismus stelle aktuell die bedeutendste Form der Judenfeindschaft dar. Eine "besondere Gefahr" liegt laut Bundesamt in der "Anschlussfähigkeit" dieses antiisraelischen Antisemitismus auch an "nicht-extremistische Diskurse".
Auch Salzborn sieht in dem antiisraelischen Antisemitismus die zentrale Integrationsideologie, in der sich zahlreiche politische Strömungen treffen. "Man sollte aber trotz der zutreffenden Beschreibung der integrativen Relevanz des antiisraelischen Antisemitismus nicht übersehen, dass nach wie vor auch andere Formen antisemitischer Artikulation relevant sind", sagte er. In jüngster Zeit seien das auch wieder vermehrt Formen antisemitischer Schuldabwehr und Täter-Opfer-Umkehr mit Blick auf die NS-Vergangenheit.
"Antisemitische Einstellungen waren nie verschwunden", sagte der Wissenschaftler weiter. Der Widerspruch gegen Judenfeindlichkeit sei in den vergangenen Jahren aber zu zaghaft und viel zu leise gewesen. "Dadurch fühlten und fühlen sich Antisemiten und Antisemitinnen bestärkt, ihre Ressentiments immer offener zu kommunizieren und dem antisemitischen Denken auch antisemitische Taten folgen zu lassen", sagte Salzborn.