Bei den länger als sechs Monate stationär behandelten Kindern und Jugendlichen seien in knapp einem Viertel der Fälle sogenannte Prüfpräparate und Import-Medikamente zum Einsatz gekommen, teilte die v. Bodelschwinghschen Stiftungen bei der Veröffentlichung der Untersuchung mit. Eine mögliche Schädigung von Bewohnern durch die Medikamentenprüfungen konnte demnach auf Grundlage der Krankenakten nicht festgestellt werden.
Bei dem von Bethel selbst gestarteten Forschungsprojekt seien in den Krankenakten keine schriftlichen Genehmigungen der Eltern oder eines Vormunds gefunden worden, hieß es. Nur in Einzelfällen gab es laut der Mitteilung Hinweise auf eine indirekte oder mündliche Zustimmung durch Erziehungsberechtigte. Die Einwilligung in und die Aufklärung über Arzneimittelerprobungen seien auch damals schon "rechtlich und ethisch geboten", jedoch "kein Standard der klinischen Praxis" gewesen, erklärte der an der Studie beteiligte Historiker Niklas Lenhard-Schramm. Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen bedauerten die Vorgänge.
Forschungprojekt begann 2017
Der Studie liegt den Angaben zufolge eine Zufallsstichprobe von 265 jungen Patienten zugrunde - bei 63 von ihnen (23,8 Prozent) seien Prüfpräparate verordnet worden. In etwa zwei Drittel der Fälle handelte es sich demnach um Antiepileptika, bei einem Drittel um Psychopharmaka. Insgesamt waren laut der Mitteilung zwischen 1949 und 1975 rund 2740 Minderjährige mindestens sechs Monate zur stationären Behandlung im Langzeitbereich von Bethel aufgenommen.
Das Forschungsprojekt zu möglichen Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen in Bethel hatte Ende 2017 begonnen. An der Studie waren Historiker und Kinderneurologen beteiligt. Den Anstoß für das Projekt hatte die Studie einer Pharmakologin gegeben, die auf Daten von Medikamententests durch die Pharmaindustrie an Kindern und Jugendlichen in Wohlfahrtseinrichtungen gestoßen war.
Wichtiger Beitrag zur Klärung
Solche Medikamententests an Minderjährigen seien in dem untersuchten Zeitraum in zahlreichen Heimen und Psychiatrien durchgeführt worden, erklärte die Medizinhistorikerin und Psychiaterin Maike Rotzoll aus Heidelberg. Bethel sei eine der größten und traditionsreichsten Einrichtungen zur Versorgung von an Epilepsie erkrankten Menschen - bis Ende des Zweiten Weltkriegs habe es kaum wirksame Medikamente gegen die Krankheit gegeben. Somit habe ein großes Interesse an neuen Arzneimitteln bestanden, fügte Rotzoll hinzu.
Der Bochumer Theologe Traugott Jähnichen sagte als Vorsitzender des Beirats für die Studie, vor dem Hintergrund der Aufnahme vieler schwerster Fälle von Epilepsie-Erkrankungen habe sich Bethel auch in der klinischen Forschung für bessere medikamentöse Therapien engagiert. Mit der von unabhängigen Experten verfassten Studie trage Bethel erheblich zur Versachlichung und Klärung der umstrittenen früheren Arzneimittelprüfungen an Kindern und Jugendlichen bei, würdigte Jähnichen.