Berlin (epd). Der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz beklagt eine zu stark von Emotionen und politischen Interessen geleitete Antisemitismus-Debatte in Deutschland. "Dass der notwendige Diskurs über Antisemitismus, über Juden und Nichtjuden in Deutschland, über Israel und deutsch-israelische Beziehungen nicht emotionsfrei geführt werden kann, ist wohl klar, nicht aber, dass er ausschließlich von Emotionen und politischen Interessen bestimmt sein darf", sagte Benz am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des Buches "Streitfall Antisemitismus". In dem von Benz herausgegebenen Buch untersuchen 15 Autoren wie Moshe Zimmermann und Micha Brumlik die Debatten der vergangenen Jahre um möglichen und tatsächlichen Antisemitismus hierzulande.
Auslöser für das Buch waren laut Benz der von der israelischen Regierung 2017 losgetretene "Feldzug" gegen das Jüdische Museum in Berlin und dessen "Jerusalem"-Ausstellung, aber auch die Resolution des Bundestages gegen die Israel-feindliche BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) und als jüngstes Beispiel der Streit um den Kameruner Gelehrten Achille Mbembe. Rationalität und wissenschaftliche Erkenntnis im Kampf gegen den leider verbreiteten wirklichen Antisemitismus über Bord zu werfen und ausschließlich auf die Leidenschaft aus frommer Gesinnung zu vertrauen, führe auf Irrwege mit bösen Folgen, warnte Benz.
Beim Thema Antisemitismus sei derzeit Expertise weniger gefragt als Meinungs- und Gesinnungsstärke, sagte er. Konkret sieht der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin nach eigenen Worten die Wissenschaftsfreiheit bedroht.