"Now or never", Jetzt oder nie, heißt diese Tragikomödie, die Gerd Schneider und sein Kameramann Dominik Berg in düstere Farben getaucht haben. Der Regisseur hat vor fünf Jahren das erste Mal auf sich aufmerksam gemacht, als "Verfehlung" in die Kinos kam, ein vorzüglich gespieltes Drama über den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch. Anders als bei seinem namhaft besetzten Debüt hat Schneider für sein Zweitwerk Schauspieler ausgewählt, die den meisten Zuschauern nicht viel sagen werden, selbst wenn Hauptdarsteller Michael Pink oft als Nebendarsteller besetzt wird. Besonders einprägsam war er zum Beispiel als finsterer Nachbar in dem Drogendrama "Die Beste aller Welten", einer Koproduktion zwischen ORF und SWR; der SWR war auch an "Verfehlung" beteiligt und ist Auftraggeber von "Now or never".
Der Österreicher Pink ist eine ausgezeichnete Wahl für die Hauptrolle des Nihilisten Henry, der als Angestellter einer deutsch-schweizerischen Sterbehilfeorganisation beim täglichen Umgang mit dem Tod die eigene Lebensmüdigkeit vergessen will. Pink versieht den Witwer mit einer sparsamen Mimik, die Henry im Zusammenspiel mit seinen trocken vorgetragenen Einzeilern sehr cool wirken lässt. Manch’ einem wird die Stimme womöglich bekannt vorkommen: Pink arbeitet auch oft als Synchronsprecher. Ähnlich gut und eine echte Entdeckung als Hauptdarstellerin ist Tinka Fürst. Rebecca ist unheilbar krank. Sie gibt sich wild und verrückt, aber Henry erkennt, was sich hinter ihren Sprüchen verbirgt: natürlich auch Angst vor dem Sterben; vor allem aber die Furcht, nie gelebt zu haben. Mit einem Trick bringt Rebecca den Sterbehelfer dazu, sie zu einem vermeintlichen Wunderheiler zu fahren. Aber die beiden sind nicht allein auf dem Weg in die Schweizer Berge: Sie werden von Rebeccas Mann Daniel (Sebastian Jehkul) und Henrys einstmals bestem Freund Benno (Johannes Allmayer) verfolgt. "Now or never" wandelt sich nun zu einem Road-Movie, das sich wie viele Filme dieser Art als Heldenreise entpuppt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Ende ist zwar bedrückend, aber dennoch ist Schneider ein ungemein lebensbejahender Film gelungen. Das hängt natürlich vor allem mit dem Wandel der Hauptfigur zusammen, aber ebenso großen Anteil daran haben die vielen skurrilen Begegnungen, die Schneider und Drehbuchautor Belo Schwarz (die Idee zu der Geschichte hatte Produzent Rüdiger Heinze) immer wieder einstreuen. Heimlicher Star der Geschichte ist Elvis Presley, und das nicht nur, weil sich der Titel auf seinen Song "It’s now or never" bezieht: Irgendwo in der Schweiz findet ein Elvis-Festival statt, weshalb die Reise des Quartetts ständig und witzig eingefädelt von Elvis-Imitatoren gekreuzt wird; selbstverständlich inklusive entsprechender Hits. Ein besonders hartnäckiger und aus allen XXL-Nähten platzender Verehrer (Till Butterbach) des "King of Rock’n’ Roll" wird erst zum unfreiwilligen Wegbegleiter von Daniel und Benno und hat am Ende sogar einen maßgeblichen Anteil daran, dass das Universum Henry "ein Zeichen" gibt; Schneider war vor seinem Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg Priesteramtskandidat der Erzdiözese Köln.
Trotz diverser verblüffend komischer Ideen ist "Now or never" letztlich ein Drama. Daran lässt schon allein die Anmutung keinerlei Zweifel: Ausstattung und Kostümbild sind betont unbunt, lichte Momente sehr selten; die Innenaufnahmen im Hospiz sind in kühlem Blaugrau gehalten. Auch die Bergbilder wirken bedrückend (gedreht wurde allerdings nicht in der Schweiz, sondern in Tirol), selbst wenn sie zunehmend eindrucksvoller werden: Die Landschaft wird immer wichtiger, je weiter sich das Quartett von der Zivilisation entfernt. Interessant ist auch die Musik (Martina Eisenreich), die des Öfteren nur aus Schlagzeug besteht. Normalerweise zeigt die ARD solche Filme erst nach 23 Uhr, zumal nicht alle Mitwirkenden die Qualität von Michael Pink haben; gerade bei den Szenen zu Beginn stoßen einige Nebendarsteller deutlich an ihre Grenzen. Das kann den guten Gesamteindruck des Films jedoch nicht schmälern, zumal dank Pink und Fürst selbst Kalendersprüche wie "Leben ist das, was man draus macht" nach Weisheit klingen.