TV-Tipp: "Stralsund: Blutlinien" (ZDF)

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TV-Tipp: "Stralsund: Blutlinien" (ZDF)
9.5., ZDF, 20.15 Uhr
Wenn’s im Reihenkrimi persönlich wird, ist das für die Filme nicht immer von Vorteil; oft sind die Ausflüge ins Privatleben der Ermittler sogar überflüssig. Interessant wird’s allerdings, wenn’s dabei um den Fall geht; erst recht, wenn auch noch die Vergangenheit der Kommissarinnen oder Kommissare eine Rolle spielt.

In seinem zweiten Drehbuch für "Stralsund" erzählt Olaf Kraemer eine interessante Geschichte, in der Hauptkommissarin Nina Petersen (Katharina Wackernagel) nach vielen Jahren auf eine Jugendfreundin trifft: Bei Bauarbeiten in der Garage des Elternhauses von Maren Brandt (Franziska Hartmann) wird die Leiche der vor gut zwanzig Jahren verschwundenen Klara entdeckt. Die junge Frau war damals Ninas Mitschülerin und bildete gemeinsam mit Maren und deren Bruder Henrik eine Art Menage à trois. Klaras Mutter wird später erzählen, sie habe das Mädchen frei erzogen; ihre Tochter sei ein Mensch gewesen, "der fliegen konnte wie ein Vogel."

Die im Prolog geschilderte unbeschwerte sommerliche Idylle des Jahres 1996 endete, als Klara eines Tages fort war. Nina Petersen ist deshalb Polizistin geworden: Sie konnte und wollte nicht glauben, dass ein Menschen einfach so verschwinden kann. Weil das Mädchen damals zuletzt mit Henrik gesehen worden war, konzentrierten sich die Ermittler auf den Teenager. Der schwere Verdacht und die endlosen Vernehmungen hatten zur Folge, dass Henrik völlig aus der Bahn geriet; aus dem Hallodri wurde ein Krimineller (Barnaby Metschurat), der nun prompt erneut ins Visier der Polizei gerät. Die Geschichte eines verpfuschten Lebens wird endgültig zur Tragödie, als der gerade erst aus dem Gefängnis entlassene Henrik in einem Tankstellenladen beim Diebstahl einer Schnapsflasche erwischt wird und der Besitzer auf unglückliche Weise ums Leben kommt.

Dieser Teil der Geschichte handelt von einem klassischen Familiendrama: Die Brandts galten in Ninas Jugend als Außenseiter und Asoziale; Maren und Henrik verbindet zudem mehr als nur geschwisterliche Liebe. Zu einem ungewöhnlichen Krimi wird "Blutlinien" durch eine Entdeckung durch Ninas Kollegen Hidde (Alexander Held). Klara ist mit einem Metalldraht ähnlich dem einer Garrotte erdrosselt worden. Die Aktenrecherche führt Hidde auf die Spur diverser vertuschter und nie aufgeklärter Morde in der früheren DDR: Entlang der Küste sind mehrere Frauen auf die gleiche Weise getötet worden. Mit der Wende endete anscheinend auch die Mordserie. Damals war Henrik noch ein Kind. Sein Vater war Kapitän, die Morde fanden alle an der Küste statt; aber der alte Brandt lebt heute dement in einem Seniorenheim.

Lars Henning hat bislang zwar nur wenige, aber ausnahmslos sehenswerte Filme inszeniert, allen voran das Kinodrama "Zwischen den Jahren" (2017) mit Peter Kurth als Mörder, der nach verbüßter Haftstrafe von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Auch seine für den Hessischen Rundfunk entstandenen Fernseharbeiten waren besonders. Zuletzt hat er für den HR einen "Tatort" gedreht: "Der Turm" (2018) war ein reizvoller Krimi über mysteriöse Vorgänge in einem Bürohochhaus. Für den HR ist auch sein 2016 ausgestrahlter Debütfilm "Kaltfront" entstanden, ein ausgezeichnet gespieltes Drama über vier Menschen, deren Lebenswege sich nach einem Verbrechen kreuzen. Die 16. "Stralsund"-Episode hat der Regisseur vergleichsweise zurückhaltend inszeniert. Die Bildgestaltung ist eher sachlich, selbst die Musik setzt keine nennenswerten Akzente, allerdings mit einer Ausnahme: Henriks aus dem Ruder gelaufene Tankstellenaktion hat Henning mit "Unchained Melody" von den Righteous Brothers unterlegt, jenem Klassiker, der 25 Jahre nach seiner Entstehung durch "Ghost – Nachricht von Sam" (1990) ein zweites Mal berühmt geworden ist. Der Kontrast zwischen der traurigen Melodie des Liebesliedes und der tragischen Szene ist äußerst effektvoll. Der Krimi entwickelt ohnehin eine hohe Intensität, zumal die Darstellerführung ausgezeichnet ist; auch das Finale, in dessen Verlauf es wenig überraschend zu weiteren Todesfällen kommt, ist angemessen fesselnd.

Letztlich ist jedoch vor allem die Geschichte, die "Blutlinien" zu einem sehenswerten Krimi macht, zumal Autor Kraemer auch die horizontal erzählte Beziehung zwischen Petersen und Thomas Jung (Johannes Zirner) vom LKA harmonisch integriert hat: Der Kollege, bislang vor allem als Berater tätig, wird neuer Chef der Kriminalpolizei. Bislang hatte die eigenwillige Polizistin regelmäßig Ärger mit ihren Vorgesetzten; für Konfliktpotenzial zwischen privaten und beruflichen Interessen ist also gesorgt.