TV-Tipp: "Polizeiruf: Heilig soll ihr sein!" (ARD)

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TV-Tipp: "Polizeiruf: Heilig soll ihr sein!" (ARD)
3.5., ARD, 20.15 Uhr
Die Mehrheit der Menschen in diesem Land gehört einer Religion an. Im Fernsehfilm erscheinen Gläubige jedoch zumeist als weltfremd und wunderlich oder als Fanatiker, die über Leichen gehen; und das gilt keineswegs nur für Islamisten.

"Heilig soll ihr sein!", ein "Polizeiruf" des RBB aus Frankfurt an der Oder, gehört ebenfalls in diese Kategorie. Der Film beginnt mit einer Rettung: Eine junge Frau will sich von einer Brücke stürzen. Ein junger Mann kann sie überreden, nicht zwei Leben auf einmal wegzuwerfen: Obwohl der Junge, der sich Elias nennt, die 16jährige Larissa (Paraschiva Dragus) gar nicht kennt, weiß er, dass sie schwanger ist. Kurz drauf begegnen sich die beiden ein zweites Mal: Eine Untersuchung hat ergeben, dass das Baby unter einem Gendefekt leidet. Wenn es nicht bereits im Mutterbauch stirbt, wird es mit schwersten Behinderungen zur Welt kommen und nicht lange leben; deshalb soll ein sogenannter Spätabbruch vorgenommen werden. Nun wird die Geschichte erst unappetitlich und dann mysteriös: Elias (Tom Gronau) schneidet das Baby aus dem bereits betäubten Bauch Larissas heraus; es ist kerngesund und sieht zudem keineswegs wie ein Frühchen aus, sondern wie ein prächtig entwickelter und mindestens einige Monate alter Säugling. Die Mutter hat nicht so viel Glück, sie wird den Folgen der Amateuroperation später erliegen, und Elias hat seine vermeintlichen Wunderkräfte offenbar aufgebraucht: Als er wie einst sein biblischer Namensvetter versucht, das Mädchen ins Leben zurückzuholen, scheitert er. Ein Wunder ist die ganze Sache trotzdem: Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass Larissa nicht gelogen hat, als sie ihren Eltern versicherte, sie sei noch nie mit einem Mann zusammengewesen.

Das klingt nicht nach einer klassischen Krimihandlung, zumal es ohnehin nicht viel zu ermitteln gibt. Natürlich hat sich Elias, der eigentlich Jonas heißt und sich als auserwähltes Werkzeug Gottes versteht, eines Verbrechens schuldig gemacht (Körperverletzung mit Todesfolge), aber hätte ihn seine Mutter, die den Jungen regelmäßig zum Exorzismus schickt ("Das Böse hat viele Gesichter"), nicht zur Flucht genötigt, hätte er sich willig verhaften lassen. Der "Polizeiruf" ist zwar bekannt dafür, auch mal Geschichten jenseits der Kriminorm zu erzählen, aber "Heilig soll ihr sein!" ist schon ziemlich speziell. Im Grunde handelt das Drehbuch von Hendrik Hölzemann (Idee: Matthias Glasner) von der übersteigerten Religiosität mehrerer Menschen; seinen Reiz bezieht der Film letztlich aus der Erkenntnis, dass sich nicht alles erklären lässt. Umso bedauerlicher, dass die Figuren derart  überzeichnet sind.

Es ist ein beliebtes Stilmittel im Sonntagskrimi, den Fall im Privatleben eines der Ermittler zu spiegeln. Deshalb bringt Hölzemann, der für den Saarländischen Rundfunk einen guten "Tatort" für Devid Striesow ("Mord Ex Machina", 2018) und zuletzt das weniger gelungene Debüt des neuen SR-Teams geschrieben hat ("Das fleißige Lieschen"), die polnische Mutter von Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) ins Spiel. Die alte Frau (Malgorzata Zajaczkowska) hat Darmkrebs und will sich nicht operieren lassen, weil sie die Krankheit für eine gerechte Strafe hält: Sie hatte die letzten fünf Jahre keinen Kontakt zu ihrem Sohn, weil sie eifersüchtig auf dessen Frau war. Mit der eigentlichen Geschichte hat das allerdings überhaupt nichts zu tun. Die Handlungsstränge überkreuzen sich zwar gelegentlich, wenn Raczek zum Beispiel seine Kollegin (Maria Simon) stehen lässt, weil seine Mutter aus dem Krankenhaus abgehauen ist, aber ansonsten hat diese Gastrolle nur eine Berechtigung: Sie soll erklären, warum der Hauptkommissar in religiösen Fragen eher skeptisch ist.

Auch sonst enthält der Film einige Irritationen, was bei einem erfahrenen und für Dramen wie "Marias letzte Reise", "Operation Zucker" oder "In aller Stille" mit allen wichtigen Fernsehpreisen ausgezeichneten Regisseur wie Rainer Kaufmann ziemlich verwundert. Woher Jonas wusste, dass Larissas Baby nicht nur gesund ist, sondern auch ein Muttermal hinterm Ohr hat, gehört zu den Dingen zwischen Himmel und Erde, die der Film offen lässt. Ähnlich erklärungsbedürftig ist der Auftritt einer drogensüchtigen jungen Frau, die im Wahn ihren Bruder tötet und das gleiche Mal trägt. Auch diese Figur scheint ihr Dasein allein dramaturgischen Gründen zu verdanken: Sammy (Kyra Sophia Kahre) und Jonas landen am Ende beide auf der Krankenstation des Gefängnisses, sie nimmt Jonas als Geisel. Weil Raczeks Mutter zufälligerweise auch zugegen ist, finden sich alle wichtigen Beteiligten zum Finale ein.

Prompt fallen noch weitere Ungereimtheiten auf. Wie mag es wohl Raczeks Mutter vor circa vierzig Jahren gelungen sein, mit dem damals schwer kranken kleinen Adam nach Lourdes zu reisen, obwohl die Familie hinterm Eisernen Vorhang lebte? Seltsam auch, dass der Polizist dem Anwalt von Jonas den Handschlag verweigert, als wäre es ehrenrührig, dem Jungen juristischen Beistand zu gewähren. Aber die Unhöflichkeit passt ins Bild. "Düster" ist bei Krimis gern auch mal ein Prädikat, weil Regisseur und Kameramann (wie stets bei Kaufmann Klaus Eichhammer) die passenden Bilder zu einer Geschichte gefunden haben; diesmal unterstreicht der Begriff in erster Linie die Freudlosigkeit des Films. Immerhin lassen sich die diversen Drohnenaufnahmen als göttliche Perspektive interpretieren.