Berlin, Brüssel (epd). Angesichts der Flüchtlingssituation an der türkisch-griechischen Grenze dringen Bundesregierung und EU-Kommission auf die Einhaltung des EU-Türkei-Abkommens. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wegen der Öffnung der Grenze zu Griechenland für Flüchtlinge. Sie verstehe, dass die Türkei mit Blick auf die Massenflucht aus Idlib vor einer sehr großen Aufgabe stehe, sagte sie am Montag in Berlin. Es sei aber "inakzeptabel", dies auf dem Rücken der Flüchtlinge auszutragen.
Die Kanzlerin kündigte an, mit der türkischen Regierung über eine Lösung sprechen zu wollen. Das Thema sei nur zu lösen, wenn man dieses EU-Türkei-Abkommen so hinbekomme, dass es von beiden Seiten als ausreichend akzeptiert werde. Das Abkommen vom März 2016 sieht vor, dass alle irregulären Migranten, die von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, zurückgeführt werden können. Im Gegenzug gibt die EU finanzielle Unterstützung bei der Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei.
Regierungssprecher Steffen Seibert hatte die Lage an den Außengrenzen der EU zur Türkei auf Land und zur See zuvor als "sehr beunruhigend" bezeichnet. Indem den Menschen in der Türkei gesagt werde, der Weg in die EU sei offen, würden sie selbst und Griechenland in eine extrem schwierige Lage gebracht, sagte Seibert und ergänzte: "Das ist er natürlich nicht."
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bekräftigte ebenfalls das Festhalten der EU an dem Abkommen. Es sei die richtige Grundlage für einen intensiveren Dialog, bei dem es zunächst um die Flüchtlinge innerhalb der Türkei gehen müsse, sagte sie in Brüssel. Von der Leyen will sich am Dienstag zusammen mit EU-Ratspräsident Charles Michel und Europaparlamentspräsident David Sassoli vor Ort ein Bild machen und Solidarität mit Griechenland zeigen. EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas plädierte in Berlin für ein Sondertreffen der EU-Innen und -Justizminister.
Am Samstag hatte die Türkei ihre Grenzen zur EU geöffnet. Nach UN-Angaben versammelten sich an der türkisch-griechischen Grenze daraufhin mindestens 13.000 Menschen. Laut den griechischen Behörden wurden Tausende Flüchtlinge am Grenzübertritt gehindert.
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex kündigte an, Griechenland schnell unterstützen zu wollen. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR betonte unterdessen, dass jeder Staat das Recht zum Schutz seiner Grenzen habe. Allerdings dürften Staaten keine exzessive und unverhältnismäßige Gewalt einsetzen. Andererseits müssten Asylbewerber die Gesetze, die öffentliche Ordnung und die Grenzsicherheit beachten.
Der Forscher Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) gab der EU indirekt eine Mitverantwortung an der aktuellen Entwicklung. Die EU habe in den vergangenen Jahren ihre finanziellen Zusagen eingehalten, jedoch "aus Kurzsichtigkeit" noch keine neuen Zusagen gegeben, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Unterdessen forderte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie Griechenland und die EU auf, den Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern gegen Flüchtlinge an der Grenze zu beenden. "Die derzeitige Gewalt durch die griechische Grenzpolizei und Frontex hat ein noch nie dagewesenes Ausmaß gegenüber Flüchtlingen erreicht", erklärte der evangelische Theologe. "Wir brauchen dringend eine politische Lösung und europäische Verständigung in dieser in jeder Hinsicht gefährlichen Krise, aber keine weitere Gewalt", mahnte Lilie.
epd ps/co/her jup