Düsseldorf (epd). Der rheinische Altpräses Nikolaus Schneider dringt darauf, dass die Kirchen sich an der Debatte um die Konsequenzen aus dem Sterbehilfe-Urteil beteiligen. "Dabei wird insbesondere auf eine der Lebenswürde entsprechende Ausgestaltung der Urteilsfolgen zu achten sein - also kein 'Wildwuchs' und keine Entsolidarisierung!", sagte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatten am Mittwoch den Strafrechtsparagrafen 217 gekippt, der die organisierte Hilfe beim Suizid verboten hatte.
"Die Kirchen müssen sich darüber klarwerden, ob sie sich am möglichen Aufbau eines Netzes von Beratungsstellen beteiligen", betonte der Theologe. Sie sollten sich dafür einsetzen, dass der Ausbau von Palliativ- und Hospizstrukturen nicht in Stocken gerate.
Schneider prognostizierte zudem, dass Sterbehilfevereine ihre Tätigkeiten wieder aufnehmen würden. Auch die Ärzteschaft müsse klären, wie dem Wunsch von Ärzten, die Menschen einen ärztlich assistierten Suizid ermöglichen wollen, Raum verschafft werden kann.
"Die Konsequenzen des Urteils für unser gesellschaftliches Zusammenleben sind umfassend noch nicht absehbar", betonte der rheinische Altpräses. Er rate zur Mäßigung bei der Bewertung des Urteils: "Denn ich gehe davon aus, dass Menschen im Normalfall leben wollen, so dass nun keine Welle von Selbsttötungen über uns hereinbrechen wird."
Zugleich bedauerte der Theologe das Urteil, das den freien Willen eines Menschen zur Selbsttötung höher gewichte als den Schutz des Lebens. Die Selbsttötung als Umsetzung des freien Willens eines Menschen werde als "normale" Handlungsoption in jeder Lebenslage verstanden, kritisierte Schneider. "Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Menschen allein in besonderen Notsituationen den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen sollten."
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwoch das seit 2015 geltende Verbot organisierter Hilfe beim Suizid gekippt. Die Vorschrift sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, erklärte das höchste deutsche Gericht. Es sei dem Gesetzgeber aber nicht untersagt, die Suizidhilfe zu regulieren. Geklagt hatten schwerstkranke Menschen, Sterbehilfe-Vereine und Ärzte, weil sie im bisherigen Recht eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Berufsfreiheit sehen.