Karlsruhe (epd). Der Staat darf organisierte Hilfe beim Suizid nicht verbieten. Das Bundesverfassungsgericht kippte am Mittwoch den Strafrechtsparagrafen 217, der seit 2015 geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellt. Die Vorschrift sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, bei der Urteilsbegründung (AZ: 2 BvR 2347/15 und weitere).
Schwerstkranke Menschen, Sterbehilfe-Vereine und Ärzte hatten gegen das Verbot geklagt, weil sie darin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Berufsfreiheit sehen. Der Kläger Helmut Feldmann, der an einer tödlichen Lungenkrankheit leidet, zeigte sich "sehr dankbar" für das Urteil. Kirchenvertreter kritisierten die Entscheidung.
Voßkuhle führte aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse. "Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen", erklärte er. Die Entscheidung des einzelnen, seinem Leben ein Ende zu setzen, "entzieht sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umfang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit", betonte das Gericht.
Daraus folge nicht, dass es dem Gesetzgeber untersagt sei, die Suizidhilfe zu regulieren, heißt es in der Begründung des Gerichts weiter. Die Regelung von 2015 habe einen legitimen Zweck verfolgt und dazu gedient, die Selbstbestimmung des Einzelnen über sein Leben und hierdurch das Leben als solches zu schützen. Doch die freie Entscheidung des Einzelnen dürfe durch ein Verbot nicht unmöglich gemacht werden. Das Gericht hob hervor, dass der Staat ein breites Spektrum an Möglichkeiten habe, um die organisierte Sterbehilfe zu kontrollieren. Als Beispiel nannten die Richter "gesetzlich festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten".
Der Strafrechtsparagraf 217 stellt die sogenannte geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe. Die Hilfe beim Suizid, etwa durch Überlassen tödlich wirkender Medikamente, ist im Einzelfall zwar nicht strafbar. Mit dem Verbot wollte der Gesetzgeber aber einer organisierten Form dieser Art der Sterbehilfe Einhalt gebieten.
"Ich bin emotional aufgewühlt, sehr erleichtert", sagte Kläger Feldmann, der mit den Tränen rang, nach dem Urteil im ZDF. "Das gibt mir die Sicherheit, das Leben, das ich noch habe, zu gestalten." Er wolle noch einige Jahre leben, aber wenn der Zeitpunkt gekommen sei, wolle er selbstständig gehen. "Ich habe keine Angst vor dem Sterben, aber ich habe Angst vor Qualen", sagte Feldmann, der befürchtet, qualvoll zu ersticken, wenn er sich nicht selbst das Leben nehmen kann.
Die beiden großen Kirchen äußerten sich enttäuscht über das Urteil. Sie hätten die Entscheidung "mit großer Sorge" zur Kenntnis genommen, teilten der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, mit. "Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen."
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärt, Beihilfe zum Suizid dürfe keine Alternative zu einer aufwendigen Sterbebegleitung sein. "Ich befürchte, dass diese Entscheidung nun eine Dynamik mit möglichen Konsequenzen nach sich zieht, deren Folgen nicht abschätzbar sind", sagte er. In einer immer älter werdenden Gesellschaft steige der finanzielle Druck auf den Gesundheitssektor ebenso wie der soziale Druck auf die kranken Menschen.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, beklagte, jetzt könne Beihilfe zum Suizid von jedermann angeboten werden. "Damit wird die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption. Der Gesetzgeber hat kein Instrument, dem jetzt noch einen Riegel vorzuschieben"