Sie hätten "mit großer Sorge" zur Kenntnis genommen, dass das Gericht das Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid aufgehoben hat, teilten der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, in einer gemeinsamen Erklärung mit. Das Urteil stelle "einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar", ergänzten sie.
Die Karlsruher Richter hatten das Gesetz zum "Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" gekippt. Es sei verfassungswidrig, weil es das allgemeine Persönlichkeitsrecht einschränke, urteilte das Verfassungsgericht. Dieses Recht umfasse auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und das Recht, sich dabei Hilfe von Dritten zu suchen, hieß es zur Begründung. Der seit 2015 geltende Strafrechtsparagraf 217 hatte die auf Wiederholung angelegte Suizidassistenz unter Strafe gestellt, um damit der Tätigkeit von Sterbehilfe-Vereinen einen Riegel vorzuschieben.
Es geht um grundlegende Fragen
"Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen", erklärten die Kirchenvertreter. Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung würden, desto größer sei die Gefahr, dass sich Menschen unter Druck gesetzt sehen, von einer derartigen Möglichkeit Gebrauch zu machen.
"An der Weise des Umgangs mit Krankheit und Tod entscheiden sich grundlegende Fragen unseres Menschseins und des ethischen Fundaments unserer Gesellschaft", warnten Bedford-Strohm und Marx. Die beiden großen Kirchen hatten sich 2015 für das nun vom höchsten deutschen Gericht gekippte Gesetz ausgesprochen. Sie hätten die Regelung als "maßvoll" empfunden und sie überzeuge nach wie vor, heißt es in ihrer Erklärung.
Kranke Menschen nicht abstempeln
"Ich bedauere es, dass das Bundesverfassungsgericht die Tür für eine geschäftsmäßige Sterbehilfe weiter geöffnet hat", sagte auch der württembergische Landesbischof Frank Otfried July. Nun bestehe die Notwendigkeit, die kirchliche Beratungs- und Betreuungsarbeit für Todkranke zu erweitern und zu vertiefen. "Wir wollen Patienten und Angehörige noch besser über die Möglichkeiten der Palliativmedizin informieren."
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärt, Beihilfe zum Suizid dürfe keine Alternative zu einer aufwendigen Sterbebegleitung sein. "Ich befürchte, dass diese Entscheidung nun eine Dynamik mit möglichen Konsequenzen nach sich zieht, deren Folgen nicht abschätzbar sind", sagte er. In einer immer älter werdenden Gesellschaft steige der finanzielle Druck auf den Gesundheitssektor ebenso wie der soziale Druck auf die kranken Menschen. Sie dürften angesichts ihres Leidens keinesfalls als Last für die Gesellschaft abgestempelt und gedrängt werden, auf medizinische Maßnahmen zu verzichten.
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, der Theologe Peter Dabrock, hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe kritisiert und den Gesetzgeber zu neuen Regelungen aufgefordert. Er mache keinen Hehl daraus, dass er das Urteil zur Verfassungswidrigkeit von Paragraf 217 "bedauere, ja für falsch erachte", erklärte Dabrock in einem Statement bei Twitter. Das Gericht habe die lange Tradition verlassen, Selbstbestimmung zu schützen, sie aber auch mit einer "Rechtskultur des Lebensschutzes" zu verbinden.