Eine einzigartige Briefsammlung bietet neue Einblicke in das Leben der Frauenklöster im Spätmittelalter. Ein Team von Wissenschaftlern um die Düsseldorfer Historikerin Eva Schlotheuber analysiert derzeit rund 1.800 Briefe aus dem früher katholischen Benediktinerinnenkloster Lüne in Lüneburg. Rund 490 Briefe seien bereits ausgewertet, sagte Schlotheuber in Lüneburg. Eine solche Vielzahl von Briefen sei besonders und biete international Forschungsansätze.
Klosterarchivar Wolfgang Brandis hatte die Briefe aus dem 15. und 16. Jahrhundert in einer ledernen Truhe im Lüneburger Klosterarchiv in den 1990er Jahren wiederentdeckt. Schlotheuber habe als erste deren Bedeutung erkannt, sagte er. Die Historikerin erläuterte, die Lüner Benediktinerinnen hätten im regen Austausch mit anderen Frauenklöstern, dem Bischof, aber auch mit dem Rat der Stadt und ihren Familien gestanden. Die Briefe zeugten zudem vom erbitterten Widerstand der Frauen gegen die von Martin Luther (1483-1546) ausgelöste Reformation und damit gegen den herrschenden Herzog Ernst zu Braunschweig-Lüneburg. "Diese Perspektive aus der Binnensicht ist ganz selten, weil sich die Frauen öffentlich nicht äußern durften."
Erst 1580 wurde im Kloster Lüne die erste lutherische Domina eingesetzt. Bis heute gibt es in dem Kloster eine Gemeinschaft evangelischer Frauen. Das Klosterleben sei auch im Mittelalter für junge Frauen der Patrizierfamilien und des Landadels attraktiv gewesen, sagte die heutige Äbtissin, Reinhild von der Goltz. "Sie hatten die Chance, Bildung zu erwerben." Durch Siederechte sei das Kloster in der durch Salzabbau reich gewordenen Stadt zudem vermögend gewesen.
Schlotheuber zufolge zeugen die Briefe vom Bildungsstand der Frauen und ihren Fähigkeiten, Netzwerke zu knüpfen. Die Nonnen wechselten darin zwischen Latein und Niederdeutsch und nutzten Anspielungen auf liturgische Texte oder Gebete für eine "erweiterte Sinnebene". Zudem werde deutlich, dass es im Kloster keinesfalls nur trist zuging. So kündigte eine Nonne Verwandten die Lieferung eines Schweins an, "dass es Euch zu einem guten, fetten Schweinsbraten dienen möge". Zuvor habe das Tier Verwüstungen angerichtet, so die Verfasserin: "Es hat mir meine gesamte Zelle umgewühlt."
Erhalten sind die Briefe, weil jedes ein- und ausgehende Schreiben handschriftlich kopiert wurde, erläuterte die Historikerin. Dies habe zum einen der Kontrolle durch die Priorin gedient. Zum anderen hätten die Nonnen damit Muster, etwa für Kondolenzschreiben oder Glückwünsche gehabt.
Das Team um Schlotheuber von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Germanistin Henrike Lähnemann von der Universität Oxford hat den Angaben zufolge bisher 272 Briefe mit historischer und sprachwissenschaftlerischer Einordnung unter "Netzwerke der Nonnen" online publiziert. Die Klosterkammer Hannover fördert diese über die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel abrufbare Publikation. Das Forschungsprojekt wird mit rund 330.000 Euro von der Gerda Henkel Stiftung unterstützt.