Bell warnte: "Ein Problem haben wir, wenn Antisemitismus wieder salonfähig und zu einem entscheidenden kulturellen Code wird." Aktuell sei Deutschland vermutlich in einer kritischen Phase, in der sich entscheide, ob antisemitische Positionen künftig wieder mehrheitsfähig würden.
In einem 1980 verabschiedeten Beschluss mit dem Titel "Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden" hatte die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland unter anderem eine "Mitverantwortung und Schuld der Christenheit in Deutschland am Holocaust" erklärt und sich von der Missionierung von Juden verabschiedet. An den Beschluss wird bei der aktuell tagenden Synode der rheinischen Kirche in Bad Neuenahr erinnert. Zudem werden künftige Anknüpfungspunkte erörtert.
Bildungsarbeit gegen Antisemitismus
Bell sagte, die Erklärung sei vor 40 Jahren in Deutschland die weitestgehende ihrer Art gewesen und habe eine neue und selbstverständlichere Kultur des Dialogs und des Nachdenkens über das Judentum eingeläutet. Der Beschluss sei auch ein "traumatherapeutischer Meilenstein" für die Landeskirche gewesen, bei dem man sich des seit Jahrhunderten gestörten Verhältnisses zum Judentum bewusst geworden sei und sich eingestanden habe, dass diese Einstellung den Boden für die Verbrechen der Nationalsozialisten mitbereitet habe.
Dass die rheinische Kirche 1980 einen solchen Beschluss gefasst habe, heiße aber nicht, dass sie selbst grundsätzlich antisemitismusfrei sei, warnte Bell. Auch die Kirchen hätten antijudaistische und antisemitische Mitglieder. Öffentlich vorgetragener Antisemitismus habe mittlerweile in Deutschland wieder zugenommen, auch im Internet, erklärte der Theologe. Dem könne die rheinische Kirche zusätzlich zu ihrer bereits bestehenden Bildungsarbeit entgegenwirken, indem sie gemeinsam mit jüdischen Gemeinden Stellen für Webaktivisten schaffe, um professionell gegen Hetze im Netz vorzugehen.
Der Kampf gegen Antisemitismus ist nach Bells Worten auch ein Kampf um Bildung und Aufklärung. Diese Aufgabe nehme die rheinische Kirche in vielen Bereichen bereits seit langem wahr, sagte der Theologe. Sie schaffe etwa Begegnungsmöglichkeiten zwischen Juden und Christen. Wichtig sei aber auch, gemeinsam mit jüdischen Gemeinden vor Ort soziale und politische Initiativen voranzubringen. Gegen latenten Antisemitismus am nachhaltigsten wirksam sei allerdings eine grundlegende Bildungsarbeit, die Menschen helfe, sich zu stabilen Persönlichkeiten zu entwickeln. Solche Menschen seien nicht so leicht für antisemitische Argumentationsweisen zu vereinnahmen, betonte Bell.