Wie kam es zu den Jahreslosungsliedern, wer hatte die Idee?
Hans-Joachim Eißler: Dass die jeweilige Jahreslosung als Lied vertont wird, war keine wirklich neue Idee. Das gibt es schon seit vielen Jahren, zum Beispiel auch in der „Chormappe“ des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg (EJW). 2010 und 2011 haben wir dann kleine Erklär-Videos zu einem Jahreslosungslied von mir gemacht. Diese Filme waren zwar noch sehr, sehr einfach gestrickt, doch die Resonanz darauf erstaunlich groß. Daraufhin hat Gottfried Heinzmann, damals Leiter des EJW, angeboten, einen Text zu schreiben, den ich vertonen könnte. Zum Jahr 2012 kam dann mit „Deine Gnade reicht“ unser erstes gemeinsames Lied zur Jahreslosung heraus.
Gottfried Heinzmann: In meiner Erinnerung war es so, dass Hans-Joachim Eißler immer mal wieder gesagt hat: „Du könntest doch auch mal einen Text für ein Jahreslosungslied schreiben.“ Im Sommer 2011 habe ich diesen Impuls aufgegriffen und den Text für das Jahreslosungslied 2012 geschrieben. Ich war dann sehr gespannt, wie Hans-Joachim Eißler die Melodie dazu gestalten würde. Als die Melodie dann kam, habe ich sie für mich durchgespielt und gesungen, habe meine Rückmeldungen gegeben und wir haben noch ein wenig an der Melodie gefeilt. In der Zwischenzeit sind wir ein eingespieltes Team.
Wie entsteht ein neues Lied? Kommt zuerst der Text, dann die Musik oder entwickeln Sie das gemeinsam?
Pfarrer Gottfried Heinzmann studierte Theologie in Neuendettelsau, Erlangen und Tübingen, war Gemeindepfarrer und leitete von 2008 bis 2016 das Evangelische Jugendwerk Württemberg (EJW). Seit Februar 2017 ist er fachlich-theologischer Vorstand des diakonischen Unternehmens Die Zieglerschen und Vorstand der Johannes-Ziegler-Stiftung. Neben dem Schreiben von Liedtexten gab Heinzmann auch Bücher und Aufsätze zur Praxis der Jugendarbeit heraus.
Hans-Joachim Eißler ist Landesreferent musikplus – Popularmusik, zuständig für Bands und Instrumentalmusik, im Evangelischen Jugendwerk in Württemberg. Bis 2011 war er auch Keyboarder der christlichen Band Ararat.
Hans-Joachim Eißler: Das ist tatsächlich unterschiedlich. In den ersten Jahren war es immer so, dass von Gottfried der „fertige“ Text kam, zu dem ich dann die Musik entwickelte. Ein paar Mal haben wir allerdings wirklich bei Null angefangen, haben uns einen ganzen Tag zusammengesetzt und waren gemeinsam kreativ. Die beiden Lieder „Da ist Freiheit“ und „Ein neues Herz“ (beide 2017) sowie „Quelle des Lebens“ (2018) sind zum Beispiel so miteinander entstanden. Weil Gottfried Heinzmann selbst auch ein guter Musiker ist und ich auch Erfahrung mit Texten habe, können wir uns gegenseitig ergänzen und auch herausfordern. Doch es ist klar: Gottfried ist natürlich mehr der Texter, und ich mehr der Musiker.
Für wen schreiben Sie? Haben Sie bestimmte Zielgruppen oder Anlässe im Auge?
Gottfried Heinzmann: Unser Ziel ist es, dass das Jahreslosungslied in Gruppen und Kreisen, in Gottesdiensten, aber auch in Chören, Singteams und Bands gesungen wird. Dazu muss die Melodie möglichst eingängig und der Text nachvollziehbar sein. Im Jugendwerk haben wir natürlich zuerst die Jugendarbeit im Blick. Unsere Erfahrung ist aber, dass diese Grundsätze sowohl für junge als auch für ältere Sängerinnen und Sänger gelten.
Wenn ich dann miterlebe, wie das Lied in einer Gruppe oder im Gottesdienst gesungen wird, wird mir die Verantwortung bewusst, die ich beim Schreiben eines Liedes für die Gemeinde empfinde. Wir legen den Sängerinnen und Sängern ein Lied in den Mund. Sie eignen sich unsere Worte und Töne an und machen sie zu ihren eigenen. Unser Anspruch ist es, dass da möglichst jedes Wort und jeder Ton stimmen muss.
Wie wird das Lied tatsächlich genutzt? Auch außerhalb ihrer Landeskirche?
Gottfried Heinzmann: Da gibt es sehr interessante Erfahrungen. Das Lied begegnet meist in Gottesdiensten am Anfang des Jahres, wenn die Gemeinden sich mit der Jahreslosung beschäftigen. Ein Gemeindepfarrer sagte einmal: „Ich finde es klasse, dass ihr das Lied so zur Verfügung stellt und ich mir keine Gedanken über die Rechte machen muss, wenn ich es verwenden will.“ Auch von Chören hören wir oft schon im November, dass sie das Lied gerne aufgreifen. Die Rückmeldungen, die wir erhalten, zeigen, dass das Lied auch weit über Württemberg hinaus gesungen wird. Ein Kollege, der im Sommerurlaub einen deutschsprachigen Gottesdienst in Holland besucht hat, kam nach dem Urlaub und berichtete, dass das Jahreslosungslied gesungen wurde. Das Internet macht’s möglich. Hier leistet die Seite www.jahreslosung.net und die dort eingestellten Materialien einen wesentlichen Beitrag für die Verbreitung des Liedes. Und natürlich auch die Chorsätze, die Begleitsätze für Klavier und Band-Sheets, die Hans-Joachim Eißler arrangiert und zur Verfügung stellt. Auch das Video zur Jahreslosung wird über 100.000 Mal angeschaut und über die sozialen Medien verbreitet.
Sie schreiben ja auch viele andere Lieder - was ist das Besondere am Jahreslosungs-Lied?
Hans-Joachim Eißler: Der Inhalt ist ja immer sehr konkret vorgegeben. Daher hat es schon den Charakter einer „Auftragskomposition“, wenn wir an dem Lied arbeiten. Wir sind dabei selbst gespannt, wie es gelingt, den Impuls der Jahreslosung aufzunehmen, das Wichtigste herauszudestillieren und musikalisch umzusetzen. Und dann ist es natürlich schön, an etwas zu arbeiten, wo wir – nach der Erfahrung der letzten Jahre – schon im Voraus wissen, dass das Interesse groß sein wird. Das ist auf jeden Fall sehr besonders, und das empfinden wir als Privileg!
Gottfried Heinzmann: Beim Texten spüre ich die Herausforderung, auf der einen Seite dem biblischen Kontext gerecht zu werden und durch das Lied den Bibeltext auszulegen. Auf der anderen Seite stellt die Jahreslosung immer einen zentralen Begriff in den Mittelpunkt: „Frieden“, „Glauben“ oder ähnliches. Es ist also gleichzeitig auch ein Themenlied. Wir versuchen diesen beiden Aspekten gerecht zu werden und ein Lied zu gestalten, das man nicht nur als Lied zur Jahreslosung singen kann, sondern das auch für sich alleine stehen kann.