Ein trüber Novembertag, kurz nach 9 Uhr in Mittel-Gründau. Gut ein Dutzend Gemeindemitglieder haben sich zum Gottesdienst versammelt - an einem dafür ganz und gar ungewöhnlichen Ort: Ein Reisebus wartet mit geöffneten Türen auf die Gläubigen, davor lädt ein Banner zum "Einsteigen" ein. Friedel Hammer hat den Bus an diesem Sonntag hergefahren. Auf seinem Platz ganz vorn sitzt Leon Harms, der für die Musik zuständig ist. Denn natürlich passt in den Bus keine Orgel. Die Begleitung für die Lieder kommt von einer CD.
Eine technische Panne mitten im Gebet, als plötzlich eine ungeplante Nachricht über den Formel-I-Weltmeister Lewis Hamilton erklingt, nimmt keiner krumm. Überhaupt ist die Stimmung locker und freundlich. Die Enge im Bus macht es "kuscheliger", findet Gottesdienst-Besucher Carsten Grau. Edmund Steinbring pflichtet ihm bei und lobt das Touristik-Unternehmen, das den Bus zur Verfügung stellt. Es sei zwar eine Notlösung, doch das Improvisierte gefällt den gut ein Dutzend Gläubigen, die sich aufgemacht haben zum gemeinsamen Beten und Singen und Predigt-Lauschen.
LED-Kerze und Klapp-Altar
Sogar ein paar Konfirmanden haben sich nicht gescheut, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen. Jan Laubach, einer von ihnen, war schon beim ersten Gottesdienst im Bus dabei. Ende September war das, und die Kirchgänger sind damals von der alten Kapelle in den warmen Bus mit den 50 gepolsterten Sitzen umgezogen. Er und die anderen Jugendlichen haben sich heute ganz hinten Plätze gesucht. Johanna Faß hat ihr eigenes Gesangbuch mitgebracht, obwohl auch welche ausliegen. Amelie Steinborn und Luca Schöbel schätzen die "andere Atmosphäre", es sei im Bus einfach "gemütlicher".
Pfarrerin Ligaya Jardas hält zum ersten Mal einen Gottesdienst im Bus. Sie steht mit Mikrofon im schwarzen Talar mit weißem Beffchen vor einem hölzernen Klappaltar.
Die Gemeinde honoriert den kreativen Umgang mit der Situation, seit sie ohne Kapelle dasteht. Mittel-Gründau gehört zur evangelischen Kirchengemeinde Auf dem Berg, wie alle sieben Ortsteile der 14.600-Einwohner-Gemeinde Gründau im Main-Kinzig-Kreis. Auch der Gelnhäuser Stadtteil Roth ist Teil der mit fast 8.000 Gemeindegliedern größten Kirchengemeinde der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Doch berühmt geworden ist sie erst jetzt, seit die baufällige Kapelle am Friedhof geschlossen werden musste und die Gläubigen sich alle 14 Tage im Bus auf die Reise zu Gott machen. Zeitungen und Radio haben bereits über die "mobile Kirche" berichtet, zwei Fernsehsender wollen demnächst mit Kameras anrücken.
Kaum geeignete Räume
"Bei der Kapelle von 1976 gab es einen Sanierungsstau", erzählt Kerstin Berk, Pfarrerin von Mittel-Gründau. Die Kirche wollte die Kosten von 600.000 bis 700.000 Euro für eine Instandsetzung nicht zahlen. Sie versuchte, die Kapelle an die Kommune zu verkaufen. Denn die Gemeinde Gründau nutzte sie auch als Trauerhalle. Nach drei Jahren ergebnisloser Verhandlungen entschloss sich die Kirchengemeinden, die Kapelle endgültig zu schließen.
Danach war guter Rat teuer. Wo beten am Sonntag? Pfarrerin Berk hatte die Idee, die Sonntags-Gottesdienste in einen Bus zu verlegen. "Es gibt in Mittel-Gründau kaum geeignete Räume", begründet Berk die ungewöhnliche Ortswahl. Kirchenvorsteher Christopher Hustedt fragte den Busunternehmer Ilario Favaro aus Breitenborn, ob er einen seiner Reisebusse ausleihen könne. Der "tiefgläubige Katholik", sagt Berk, habe sofort zugesagt. Bis Ostern stellt er einen Bus samt Fahrer alle zwei Wochen für den Sonntags-Gottesdienst zur Verfügung. Die Kirchengemeinde muss lediglich fürs Benzin aufkommen.
Für die anstehenden großen Festtage hat die Kirchengemeinde schon Lösungen gefunden. Heilig Abend wird in der Mehrzweckhalle in Mittel-Gründau gefeiert, an Silvester dürfen die Gläubigen ins Sportlerheim. Am 23. Februar ist ein Faschings-Gottesdienst geplant, mit Kräppeln und Umtrunk. Dann rollt der Bus tatsächlich während der Feier durch alle Ortsteile der kreativen Kirchengemeinde Auf dem Berg.