Die evangelische Kirche hat sich viele Gedanken über sich und ihre Zukunft gemacht. Seit dem Reformationsjubiläum ist einiges in Gang gekommen. Marlehn Thieme, Mitglied des Rates der EKD, erzählte in ihrem Bericht vor der Synode der EKD in Dresden, dass man sich frage, wie die Erfahrungen und die Dynamik, die das Jubiläumsjahr entwickelt hatte, für einen geistlich und theologisch fundierten Neuaufbruch in die Zukunft fruchtbar gemacht werden könnten. "Zukunft auf gutem Grund" sei deher auch das Leitwort für eine Kirche, die die Grundfrage der Reformation nach Gottes Gnade heute neu stellen will.
Gestärktes Selbstbewusstsein, Begeisterung und eine neue Lust auf Theologie trafen auf Realismus, selbstkritische Reflexion und Sehnsucht nach Relevanz. Das Jubiläum mache Mut, angesichts der "Krise aller Institutionen" angstfrei nach Gottes Gegenwart in unserer Welt zu suchen. Der Protestantismus entfaltete dort seine größte Ausstrahlung, wo die verschiedenen Ebenen in der Besinnung auf ihre jeweiligen Stärken zu einem gemeinsamen Handeln fanden und wo es gelang, neue Begegnungsräume in der Gesellschaft zu eröffnen.
Nun also müsse auch in der Zukunft eine solche Balance zwischen dezentralen Strukturen, koordiniertem Handeln und zentralen Impulsen gelingen. Um in Erfahrung zu bringen, wie die Einsichten von 2017 so ausgewertet werden können, dass sie in die konkrete Gestaltung zukünftigen kirchlichen Handelns einfließen können, hat die Synode der EKD ein "Koordinierungsteam", aus je vier Mitgliedern von Synode, Rat und Kirchenkonferenz eingesetzt und Themenfelder benannt, welche die Erfahrungen aus 2017 festhalten sollen. Dabei wurden dem Koordinierungsteam vier Leitfragen mit auf den Weg gegeben: "Wie können die vielfältigen Beteiligungsformen des Reformationsjubiläums für das kirchliche Leben fruchtbar gemacht werden? Welche Kommunikationsformen sind angemessen für unsere Zeit? Was können wir zur Stabilität der verfassten Kirche in Zeiten zunehmender Individualisierung und der Krise aller Institutionen beisteuern? Und: Wie können wir die ökumenischen Beziehungen zur katholischen Kirche weiter vertiefen?"
Das Koordinierungsteam wurde beauftragt, darüber nachzudenken, wie die evangelische Kirche in einer zunehmend säkularisierten und eher vernetzten als organisierten Gesellschaft kommunizieren kann? Was bedeutet es für kirchliche Strukturen, wenn man die Kirche mehrdimensional als Institution, Organisation und Bewegung versteht? Wie können neue Formate der Beteiligung und der Zugehörigkeit am kirchlichen Leben aussehen? Wie kann die Ökumene weiter vertieft werden?
So konstituierte sich das Koordinierungsteam im Mai 2018 und traf sich bis September 2019 zu fünf Sitzungen und einem Studientag. Um dabei die Perspektive der nächsten Generation mit in den Blick zu nehmen, berief es zusätzlich drei junge Menschen in seinen Kreis. Angesichts der Breite der in Vorlage und im Beschluss der Synode angesprochenen Themen und der Komplexität der damit verbundenen Fragestellungen war es für die Mitglieder der Arbeitsgruppe nicht einfach, einen gemeinsamen Fokus zu entwickeln. Seit der konstituierenden Sitzung sei klar geworden, dass das Koordinierungsteam seine Aufgabe nicht darin sehen konnte, "Patentlösungen" oder fertige "Produkte" zu entwickeln und zu präsentieren. Was an einem Ort funktioniere, erweist sich an anderer Stelle mitunter als unangemessen. Das Koordinierungsteam nahm sich daher vor, auf einer Metaebene Impulse zu setzen, die eine orientierende und motivierende Dynamik entfalten, wobei in einem ersten Gedankengang der Frage nach dem Leitungshandeln nachgegangen wurde.
Der ganze von Marlehn Thieme eingebrachte Bericht ist online nachzulesen. Wichtige Punkte sind: Auftrag und Konstituierung eines Koordinierungsteams, Leitung in einer Netzwerkkirche, Lehren aus dem Reformationsjubiläums, "Kirche auf gutem Grund" als "Kirche mit Resonanz"?, Biblische Impulse für eine kleiner werdende Kirche.
Im Anschluss an dem Bericht plädierte eine Synodale zur Idenititätsvergewisserung, dass Mündigsein des Christenmenschen müsse stärker ausgeprägt werden. Ein anderer Synodaler riet zur Vorsicht bei den biblischen Impulsen für eine kleiner werdende Kirche.
Auf Nachfrage hin sagte Irmgard Schwaetzer Präses der Synoede: Zuerst habe man gedacht, man müsse "Kirche auf gutem Grund" und die Finanzstratregie der EKD zussammendenken und zusammen führen. Dann erschien das als "nicht sachgerecht". Daher würden sich diese beiden Prozesse nun auf Themen beziehen, die für sie relevant seien und auch im nächsten Jahr bearbeitet werden könnten. Schwaetzer sagte: "Unsere Kirche wird, weil wir kleiner werden, in 20 Jahren anders aussehen als heute. Deswegen haben wir jetzt die Chance, heute die Weichen zu stellen". Man sollte den Fokus nicht darauf legen, kleiner zu werden, sondern eher aus Altem ausbrechen und Neues wagen.
Die Synode will am Mittwoch den Rat der EKD bitten, die vorgelegten Empfehlungen der sieben Themenfelder unter Berücksichtigung der Aussprache in der Synode und in enger Abstimmung mit dem Begleitenden Ausschuss "Prozess zur Neuorientierung der Finanzstrategie der EKD" und dem Z-Team weiter zu bearbeiten und ihr für die Tagung im November 2020 detailliertere Vorschläge vorzulegen, welche Schritte mit Zustimmung der Kirchenkonferenz konkret umgesetzt werden sollen.