Berlin (epd). Rückkehr zur Kultur des Sonntagsbratens: In einem Grundsatzpapier fordert die evangelische Kirche von Landwirtschaft, Handel und Verbrauchern mehr Wertschätzung für Tiere. Unter der Überschrift "Nutztier und Mitgeschöpf" veröffentlichte die Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für nachhaltige Entwicklung am Donnerstag ein Positionspapier, das einen umfassenden Wandel in der Agrarwirtschaft und -politik fordert. Verantwortung sehen die Autoren aber auch beim Verbraucher selbst. Sie fordern eine Reduzierung des Fleischkonsums und regen eine "Rückkehr zur alten Tradition des Sonntagsbratens" an.
Auch vor dem Hintergrund der Klimadebatte sei das Thema Tierwohl höchst aktuell, sagte der Kammer-Vorsitzende Uwe Schneidewind bei der Vorstellung des Papiers in Berlin. Die evangelische Kirche wolle bei diesem Thema als Mittler auftreten, auf Interessenkonflikte hinweisen und trotzdem klare Orientierung geben, sagte er. Das Papier will nach seinen Angaben nicht zur Emotionalisierung beitragen. Bewusst werde etwa auf das Wort "Massentierhaltung" verzichtet. Bibelzitate in dem Papier sollen aber verdeutlichen, dass die Achtung für das Tier auch christlich begründet ist.
Ein Appell wird besonders deutlich: Ausmaß und Umfang des Fleischkonsums in Deutschland und anderen Ländern seien nicht mehr zukunftsfähig und verantwortbar, sagte Mitautor Dietrich Werner, theologischer Grundsatzreferent im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung. Im Schnitt verbrauchten die Deutschen pro Kopf und Jahr 60 Kilogramm Fleisch, die Empfehlung liege bei 20 Kilogramm für Frauen, 30 für Männer, erläuterte Maren Heincke, die Referentin für den ländlichen Raum der hessen-nassauischen Kirche ist.
"Wir befinden uns im Überkonsum", sagte sie. Mit dem Papier solle deutlich werden, dass nicht nur Tiere und Umwelt Schaden nehmen, wenn das "rechte Maß" verloren geht, sondern auch die eigene Gesundheit. Den Verweis auf den Sonntagsbraten meint die EKD als Denkanstoß und Orientierung. Klare Vorgaben, wie oft Fleischverzehr in der Woche gut ist, will sie bewusst nicht machen, appelliert aber auch an kirchliche Arbeitgeber, häufiger vegetarische Kost aufzutischen.
In insgesamt 16 Kernforderungen plädieren die Autoren des Papiers unter anderem für eine Anpassung der EU-Handelspolitik im Hinblick auf Fleischexporte und Futtermittelimporte. Außerdem wird der Politik empfohlen, etwas gegen die Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel zu unternehmen. Die große Marktmacht der Abnehmer verstärke den Preisverfall für tierische Produkte. Wirtschaftlicher Spielraum für mehr Tierwohl bleibe nicht, und die Erzeuger erhielten keine fairen Preise.
Die Autoren schlagen auch ein staatliches Tierwohl-Monitoring vor und bringen eine Fleischsteuer ins Gespräch. Es sei nicht einzusehen, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für alle Fleischprodukte gelten müsse, sagte Werner. Weniger tierwohlorientiert gewonnenes Fleisch könne mit dem normalen Mehrwertsteuersatz verbunden werden, schlägt er vor.
Es sei an der Zeit, eine "verdinglichende und mechanistische Sicht" auf das Mensch-Tier-Verhältnis hinter sich zu lassen, schreiben die Autoren. Mitautorin Heincke wies auf den Begriff "Mitgeschöpf" im Titel hin. Das solle durchaus als Provokation gemeint sein, sagte die Agrarwissenschaftlerin.
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