Fast alle Theologen bereiten ihre Gottesdienste inzwischen auf dem Computer vor. Was spricht dagegen, dass sie ihre Texte erst gar nicht mehr ausdrucken, sondern gleich vom Tablet lesen? Er lese sein Brevier, das tägliche Stundengebet, "nur noch auf dem iPad", erklärte kürzlich Kardinal Reinhard Marx. In der Liturgie solle man jedoch bei gedruckten Büchern bleiben, fügte der Erzbischof von München und Freising hinzu. In dieser Haltung gibt es in beiden großen Kirchen Konsens.
Auch der Liturgie-Experte Alexander Deeg steht digitalen Geräten im Gottesdienst eher skeptisch gegenüber. Argumente gebe es eher gegen als für das Tablet als Ersatz für liturgische Bücher - "aber nicht gegen das Tablet als Vorlage für die Predigt", sagt der Leiter des Liturgiewissenschaftlichen Instituts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) in Leipzig. Es gehe bei der Frage "Tablet - ja oder nein" nicht nur um Praktikabilität, sondern entscheidend darum, welche Bedeutungen ein Gegenstand mit sich bringe: "Auch in evangelischen Gottesdiensten kommt - hoffentlich - niemand auf die Idee, den Abendmahlswein in Plastikbechern auf dem Altar darzureichen oder für die Taufe statt einer Taufkanne eine Plastikflasche zu verwenden - obgleich die Funktionalität zweifellos vergleichbar wäre", sagt Deeg.
Der Gebrauch eines Tablets für Predigt und Liturgie "ist weitgehend eine Geschmacksfrage", meint Susanne Mathis-Meuret vom Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur in der Lutherstadt Wittenberg. "Im Lauf der Zeit haben sich die Medien verändert; wir benutzen heute ja auch keine Schriftrollen mehr." Viele Liturginnen und Liturgen, sagt Mathis-Meuret, wüssten die Vorteile eines Tablets zu schätzen: Kurzfristige Einfügungen seien möglich. Und bei Gottesdiensten ohne feste Organisten und Kirchendiener könne der Liturg vom Tablet sogar problemlos Musik einspielen.
Gefahr der Beliebigkeit
Gegen den gespenstischen Effekt eines vom Display angestrahlten Gesichts gebe es Kniffe - etwa das Umstellen der Schrift auf weiße Buchstaben auf schwarzem Grund. Allerdings fänden es nicht wenige Menschen irritierend, wenn die Pfarrerin oder der Pfarrer über die Seiten wische, statt wie herkömmlich umzublättern. "Aber das ist vermutlich Gewohnheitssache. Genauso wie jedes liturgische Ringbuch oder Predigtmanuskript sollte ein Tablet jedenfalls nur ein Hilfsmittel sein, das nicht vom Inhalt ablenkt", sagte die Gottesdienstberaterin dem Evangelischen Pressedienst. Denn auf den Inhalt komme es schließlich an.
Und da liegt ihres Erachtens auch die Schwierigkeit bei der Verwendung dieser technischen Geräte im Gottesdienst: "Ein Tablet hat immer etwas Beliebiges. Darauf lassen sich ganz unterschiedliche Inhalte speichern. Außer der Liturgie und der Predigt auch noch der Roman, den ich gerade lese, Nachrichten und Fotos, der Terminkalender und meine Kontoauszüge. Wer im Gottesdienst mit dem Tablet statt Liturgie-Ringbuch arbeitet, wird darauf achten müssen, bestimmte Funktionen auszuschalten." Sonst tauche vielleicht "plötzlich noch Werbung für Dinge auf, die man vor kurzem im Internet gesucht hat", meint Mathis-Meuret lachend.
Wischen drückt Flüchtigkeit aus
Die traditionelle Lesung biblischer Texte im Gottesdienst von einem Tablet kann sich die Pfarrerin allerdings nicht vorstellen: "Das finde ich wegen der Symbolkraft des biblischen Buchs schwierig. Die Bibel hat einen konkreten Inhalt, der sich nicht austauschen lässt", sagt die Gottesdienst-Expertin vom Kompetenz-Zentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). "Oder können Sie sich ein Tablet anstelle der aufgeschlagenen Bibel auf dem Altar vorstellen?"
Auf diese Besonderheiten weist auch Marius Linnenborn hin, Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier: "Gegenstände, die im Gottesdienst benutzt werden, sind in der Regel für den gottesdienstlichen Gebrauch geschaffen und dafür reserviert." Der Kelch für die Eucharistiefeier oder die Hostienschale etwa "werden nicht auch noch in der Küche benutzt", unterstreicht der promovierte katholische Theologe und Liturgiewissenschaftler. "Ein Tablet dagegen ist ein alltägliches Arbeitsgerät."
Für ihn sei dessen Verwendung daher auch eine "Frage des Stils und der Ästhetik", fügt Linnenborn hinzu. Er sieht es eher kritisch, wenn ein Priester ein Tablet für die Predigt oder die Fürbitten benutzen würde: "Ich kann mir das für meinen Dienst in der Liturgie gar nicht vorstellen." Das Leuchten des Displays und vor allem das Wischen beim Umblättern drücke Flüchtigkeit aus. Weil im Gottesdienst "echte Dinge gebraucht werden wie zum Beispiel echte Kerzen entspricht das Computer-Tablet nicht dem Stil der sonst im Gottesdienst gebrauchten Gegenstände."
Auch im Bereich von Trauerfeiern außerhalb der Kirchen steht man der Verwendung eines Tablets eher skeptisch entgegen. "Wir empfehlen das nicht", sagt Martin Schneller, Gründer und Leiter der Trauer- und Hochzeitsrednerakademie im hessischen Rödermark. Schneller - der in 16 Jahren bei rund 1.000 Beerdigungen sprach - sieht allerdings einen Unterschied zwischen Reden bei Trauerfeiern und Ansprachen bei Hochzeiten: "Bei der Trauerfeier geht es eher konservativ zu, man hat es in der Regel mit älteren Leuten zu tun. Viele würden ein Tablet hier als störend empfinden. Ich habe das bisher nicht gemacht, ich kenne auch keinen, der da vom Tablet abliest."