Frankfurt a.M. (epd). Journalistenkollegen haben den verstorbenen Publizisten Michael Jürgs gewürdigt. "Seine kluge, funkelnde Streitlust wird gerade in diesen Zeiten schmerzlich fehlen", erklärte Nikolaus Blome, Politikchef der "Bild"-Zeitung, in einem vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf Twitter verbreiteten Statement. Der Investigativjournalist Hans Leyendecker erklärte in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Online), Jürgs habe den "schärfsten Blick für alles Verlogene, Lächerliche" gehabt. Jürgs war in der Nacht zum Freitag im Alter von 74 Jahren in Hamburg gestorben.
Der hamburgische Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) würdigte den früheren Chefredakteur von "Stern" und "Tempo" als "Monolithen des klassischen Journalismus". "Wir bräuchten gerade jetzt mehr mutige Freigeister wie ihn", schrieb Brosda auf Twitter. Julia Jäkel, Vorstandschefin des Verlags Gruner + Jahr, in dem der "Stern" erscheint, nannte Jürgs "einen der großen, aufrechten Journalisten."
Noch in der vergangenen Woche hatte der Publizist den Theodor-Wolff-Preis der deutschen Zeitungen für sein Lebenswerk erhalten, den er wegen seiner schweren Krebserkrankung jedoch nicht mehr persönlich entgegennehmen konnte. Ausgezeichnet hatte Jürgs eine Jury unter Vorsitz von Blome. "Die Umschreibung unseres geliebten Berufes als vierte Macht war mir stets zu martialisch", hatte Jürgs in einer Dankesbotschaft zum Theodor-Wolff-Preis mit Blick auf den Journalismus erklärt: "Jetzt aber, in Zeiten, da Barbaren unsere Zivilgesellschaft attackieren und vor Mord nicht zurückschrecken, ist es der passende Begriff."
Jürgs machte sich nicht nur als aktueller Journalist, sondern auch als Biograf einen Namen, etwa mit Büchern über die Schauspiel-Ikone Romy Schneider, den Schriftsteller und Künstler Günter Grass und den Verleger Axel Springer. 2018 machte Jürgs seine Krebserkrankung publik.
Er wurde am 4. Mai 1945 im schwäbischen Ellwangen geboren. Jürgs studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik, beendete das Studium aber vorzeitig für ein Volontariat bei der Münchner "Abendzeitung", wo er später zum Feuilletonchef aufstieg. 1976 wechselte er zum "Stern", wo er das Unterhaltungsressort leitete und von 1986 bis 1990 Chefredakteur war. Nach einem Streit über einen skeptischen Leitartikel zur deutschen Wiedervereinigung wurde Jürgs 1990 beim "Stern" abgelöst. Mit der Titel-Schlagzeile "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?" hatte er für Empörung gesorgt, auch beim damaligen Gruner + Jahr-Chef Gerd Schulte-Hillen.
1992 ging Jürgs als Chefredakteur zur mittlerweile eingestellten Lifestyle-Zeitschrift "Tempo", die er zwei Jahre später wieder verließ. Von 1992 bis 1994 moderierte er zudem die "NDR-Talkshow".
Jürgs war auch Autor von zahlreichen Sachbüchern wie "Sklavenmarkt Europa" (2014) über Menschenhandel. In seiner Streitschrift "Seichtgebiete - Warum wir hemmungslos verblöden" rechnete Jürgs 2009 mit dem Unterhaltungsgeschäft im Privatfernsehen ab. Während des Bundestagswahlkampfs 2017 veröffentlichte er den Polit-Krimi "Und erlöse uns von allen Üblen" als Fortsetzungsroman im Berliner "Tagesspiegel".
Zudem war Jürgs Autor von Fernsehdokumentationen. Ein von ihm zu "Stern"-Zeiten geführtes, aufsehenerregendes Interview mit Romy Schneider war 2018 Vorbild für den Kinofilm "Drei Tage in Quibéron". Die Arbeit an seinem letzten Buch hatte er erst Mitte Juni beendet. Der Titel: "Post mortem. Was ich nach meinem Tod erlebte und wen ich im Jenseits traf."