"Muss Kirche politisch sein?" - Unter diesem Motto hat Sachsens Landesbischof Carsten Rentzing in Chemnitz mit Journalisten diskutiert. Eingeladen hatte die Diakonie Sachsen in eine frühere Industrieanlage, den Wirkbau. Dort ist derzeit die Ausstellung "Kunst trotz(t) Ausgrenzung" zu sehen. Als Rahmenprogramm lädt die Diakonie zu Gesprächsrunden an einen "Weißen Tisch".
Neben Rentzing hatten Zeit-Journalist Hannes Leitlein sowie die Moderatorin und MDR-Journalistin Susanne Sturm an dem "Weißen Tisch" Platz genommen. Leitlein ist stellvertretender Redaktionsleiter des Zeit-Ressorts "Christ & Welt". Er appellierte an Kirchen, sich in den gesellschaftlichen Dialog einzumischen. "Die Kirche kann nicht nicht politisch sein", betonte der Journalist. Schon der Kauf einer Kaffeebohne oder das Tanken von Diesel sei eine politische Entscheidung. Kirche sei zwar zu Recht Moderator. Aber es reiche nicht, nur zwei Meinungen zueinander zu bringen. Kirchen müssten sich ganz klar äußern und Stellung beziehen, forderte Leitlein. Dabei seien bei Themen wie Radikalisierung und Rechtsextremismus harte Grenzen aufzuzeigen. Das fehle häufig.
Rassismus kann nicht als Meinung durchgehen
"Kirche ist immer politisch", sagte Rentzing. "Jede Predigt, die das Evangelium verkündet, ist politisch." Und es gebe "Punkte, wo sich Kirche äußern muss", stimmte der Bischof zu. Allerdings müsse dabei ausgewählt und abgewogen werden, damit Kirche überhaupt gehört werde. Es seien "die Punkte zu identifizieren, an denen es ein entscheidendes Wort geben muss." Aber die Kirche müsse sich nicht zu allem äußern. Oft würden kirchliche Äußerungen gar nicht wahrgenommen, sagte Rentzing. Und es gehe auch "nicht nur um Worte, sondern um Zeichen und Taten". "Das ist unsere Art und Weise politisch tätig zu sein - in dieser direkten Form", sagte der Bischof.
Leitlein entgegnete, ein Pfarrer müsse beispielsweise sagen, dass eine fremdenfeindliche Gruppe wie "Pegida" nicht für das christliche Abendland steht. Es könne nicht sein, dass Rassismus als Meinung durchgeht. "Wir sind an einen Punkt gekommen, wo klare rote Linien gezogen werden müssen, auch auf die Gefahr hin, Kirchenmitglieder zu verlieren", forderte der Journalist. "Meine rote Linie ist da, wo Menschenwürde verletzt wird", sagte Rentzing. An diesem Punkt melde sich Kirche auch zu Wort. "Ein Totreden der Demokratie ist ein Bildungsauftrag für uns", betonte der Bischof. "Aber die Verdrossenen erreichen wir nur, wenn wir Räume öffnen."
Wunsch nach klaren Worten
"Es muss sehr viel deutlicher benannt werden, dass sich in der Gesellschaft etwas verschiebt", forderte Leitlein. Auch die Mehrheit der Zuhörer äußerte den Wunsch nach klaren Worten. Dieses Anliegen durchzog die gesamte abendliche Diskussion. Eine Frau aus Chemnitz appellierte: Kirchliche Aktionen würden dringend gebraucht - jenseits von Parteipolitik und extremistischen Lagern. Das habe ihre Stadt jetzt dringend nötig.
Zugleich stellte der Bischof heraus: "Das Maß an Bescheidenheit ist der Kirche eigen. Wenn ich den Graben vertiefe, was soll das zum gesellschaftlichen Frieden beitragen?" Journalist Leitlein indes ist überzeugt: "Es ist klug, sich in einer Gesellschaft zu äußern, in der Kirche kaum mehr Relevanz markiert." Das könne auch mit dem Thema Tempolimit 130 sein, wie es die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland gerade praktiziere.