Wohnungen, Restaurants, Synagogen und Moscheen: Wenn Kirchen nicht mehr für den Gottesdienst gebraucht werden, erhalten viele ein zweites Leben in einer neuen Funktion. Immer mehr evangelische Gemeinden in Deutschland müssen sich mit der Zukunft ihrer Kirchengebäude beschäftigen. Weil die Mitglieder weniger werden, bleibt manchmal nur die Entscheidung für eine Entwidmung, also die Aufgabe als sakrales Gebäude. In fast allen der 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mussten Kirchen bereits aufgegeben werden, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) ergab.
Zahl der Umwidmungen könnte steigen
2008 etwa wurde die Gustav-Adolf-Kirche in Hannover an die liberale jüdische Gemeinde Hannover verkauft, seit 2009 ist sie eine Synagoge. In Bielefeld wurde 2005 die Martini-Kirche vollständig saniert und als Restaurant neu eröffnet. In Berlin wurde die Ananiaskirche verkauft und zu Wohnungen umgebaut. In Mecklenburg-Vorpommern wurde eine ehemalige Klosterkirche zu einem Orgelmuseum umfunktioniert. Solche Fälle könnten sich in Zukunft häufen.
Nach Ansicht von Experten wird das Problem ungenutzter und leerstehender Kirchen in den kommenden Jahrzehnten größer werden. Nach Ansicht der Karlsruher Architektur-Professorin Kerstin Gothe wird das Problem derzeit noch kleingeredet. Viele Landeskirchen versuchen derzeit noch, all ihre Kirchengebäude zu halten, auch wenn dort nicht mehr regelmäßig ein Gottesdienst stattfindet, wie die epd-Umfrage ergab. Durch die gute Steuersituation sei der finanzielle Druck, sich mit dem Thema zu beschäftigen erst einmal raus, sagt Gothe. Doch für Gemeinden sei es wichtig, sich frühzeitig mit Lösungen zu befassen.
In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der verkauften und entwidmeten Kirchen besonders hoch. In der Evangelischen Kirche im Rheinland wurden zwischen 2008 und 2018 150 Kirchen entwidmet. Seit 2001 wurden in der Evangelischen Kirche von Westfalen 78 Kirchen und 61 weitere Gottesdienststätten aufgegeben. Die Landesinitiative Stadt-Bau-Kultur geht davon aus, dass bis zu 30 Prozent der rund 6.000 Kirchengebäude in Nordrhein-Westfalen (die katholischen mit eingerechnet) auf Dauer leerstehen werden. Die Initiative hat im Februar das Projekt "Zukunft - Kirchen - Räume" gestartet, das Gemeinden bei der Entscheidung über die Umnutzung ihrer Kirchen beraten soll.
Denkmalschutz muss beachtet werden
Denn oftmals sind besondere bau- und kirchenrechtliche Aspekte zu beachten. Zum Beispiel stehen viele Kirchen unter Denkmalschutz und sind daher vor dem Abriss und bestimmten baulichen Veränderungen geschützt. Grundsätzlich ist die Aufgabe einer Kirche ohnehin eine emotionale Angelegenheit. "Kirchen haben oft eine besondere Bedeutung im Leben der einzelnen Menschen", sagt die Expertin Kerstin Gothe.
Sie seien Schauplatz von Übergangsritualen wie Taufen, Einschulungen, Konfirmationen, Hochzeiten und Begräbnissen. Daher wirkten Kirchen auch für Menschen identitätsstiftend, die sonst wenig mit der Kirche zu tun hätten. Gleichzeitig prägen Sakralgebäude auch das Erscheinungsbild von Städten und Dörfern. "Oft sieht man den Kirchturm, bevor man die Häuser eines Ortes sieht", sagt Gothe. Daher sei es verständlich, wenn Bürger etwas gegen Kirchenabrisse einzuwenden haben.
Im Osten und in der Mitte Deutschlands sind leerstehende Dorfkirchen für die Gemeinden eine Herausforderung. Zur Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), die sich über Thüringen, Teile Sachsen-Anhalts, Sachsens und Brandenburgs erstreckt, gibt es 4.000 Kirchen. Das sind nach Angaben der Landeskirche 20 Prozent aller evangelischen Kirchen in Deutschland. Allein in Thüringen gehören 2.000 Kirchen zur EKM, 99 Prozent davon sind denkmalgeschützt. Wie viele von ihnen überwiegend leerstehen, lasse sich nicht beziffern, teilt der Pressesprecher mit.
Gemeinsam für den Erhalt von Kirchen
Dass es viele sind, zeigt ein Projekt der Landeskirche zusammen mit der Internationalen Bauausstellung Thüringen (IBA). 2017 wurden Ideen für alternative oder zusätzliche Nutzungen für überwiegend leerstehende Kirchen gesammelt. 500 wurden in einem Katalog veröffentlicht, sieben werden derzeit in die Tat umgesetzt. Darunter eine Herbergskirche, die über die Online-Plattform Airbnb vermietet wird, eine Gesundheitskirche und eine Bienengartenkirche.
Expertin Kerstin Gothe empfiehlt Gemeinden, sich früh um Kooperationen mit Vereinen oder der öffentlichen Hand zu bemühen, um gemeinsam zu überlegen, wie man Kirchen erhalten könne. Aber: "Es gibt überhaupt keine Rezepte. Jede Gemeinde muss schließlich ihren eigenen Weg finden."