Selbst wenn Schüler aus sozial schwachen Familien zu Beginn ihrer Schulzeit ähnliche Kompetenzen hätten wie Kinder aus einkommensstarken Haushalten, werde der Leistungsunterschied zwischen den beiden Gruppen im Laufe der Jahre immer größer, sagte Holtmann. Dies werde besonders deutlich an den USA: "In den Sommerferien, also in der schulfreien Zeit, wachsen die Unterschiede dort sehr stark", sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
In Finnland wüchsen die Unterschiede während der Ferien hingegen nicht so sehr, sagte Holtmann. Die Forscherin führt das unter anderem auf die hohe sozioökonomische Gleichheit in dem nordeuropäischen Land zurück. Für mehr Chancengleichheit in Deutschland empfiehlt sie daher zum Beispiel einen höheren Mindestlohn und mehr sozialen Wohnungsbau. Auch nachhaltige Investitionen in Bildung wie kleinere Klassen könnten zu einem gewissen Grad helfen. "Es hat sich aber gezeigt, dass sozial durchmischte Schulen wirksamer sind als große Finanzspritzen", sagte Holtmann.
Beim Lesen hingen Kinder aus armen Familien in Deutschland derzeit zwei Jahre hinter Kindern aus reicheren Familien hinterher, sagte die Soziologin. In Finnland, wo Schulen stärker durchmischt seien, sei es nur ein Jahr. Entgegen den Befürchtungen mancher Eltern würden die Kompetenzen der Kinder aus gutsituierten Familien in gemixten Schulen nicht leiden: "Der Ländervergleich zeigt, dass die Leistungen dieser Schüler stark bleiben", sagte sie.
Nachholbedarf bestehe in Deutschland auch bei der frühkindlichen Bildung, sagte Holtmann. So zeigten sich bereits vor der Einschulung große Unterschiede in den Kompetenzen der Kinder. "Eine soziale Durchmischung wäre wahrscheinlich auch schon im Kindergarten hilfreich", sagte sie. Es sei zudem beim Ausbau des Kita-Angebots wichtig, nicht die Qualität aus den Augen zu verlieren.