In der katholischen Kirche herrscht ein Unwetter. Missbrauchsskandale und eine tiefe Glaubenskrise haben diesen Sturm heraufbeschworen. Vor dem an diesem Donnerstag beginnenden Bischofs-Gipfel zum Missbrauch in Rom sind die katholischen Bischöfe in Deutschland uneins in der Frage der Aufarbeitung ihrer Verantwortung. Es hagelt immer neue Vorschläge zum Umgang mit den Opfern sexualisierter Gewalt, zur Reform der Kirche. Der Pflichtzölibat ist in der Diskussion, das Priesteramt für Frauen ebenfalls. "Ein bisschen wie auf einem Hühnerhof" gehe es derzeit in der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zu, sagte der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche, Bischof Stephan Ackermann, am Dienstagabend in Frankfurt am Main bei einem Gespräch in der Philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen. Aber dieses Verhalten zeige eben nur, unter welchem Druck die Bischöfe derzeit stünden.
Die Opfer des Missbrauchs, die Gläubigen und die Öffentlichkeit - sie alle erwarten von der Bischofs-Versammlung in Rom einen großen Wurf, eine Art kollektives Schuldbekenntnis und die erkennbare Bereitschaft, etwas zu verändern. Das wird auch nach dem knapp einstündigen moderierten Gespräch mit dem 55-jährigen Trierer Bischof in der Diskussion deutlich. Ein junger Mann aus dem Publikum fragt, wie man weiter Vertrauen in ein Gremium aus Bischöfen setzen könne, Lösungen für die Krise zu finden, das sich in Teilen immer noch der Reflexion über die eigene Schuld widersetze. Ackermann nennt in seiner Antwort die Missbrauchsstudie, die die Bischofskonferenz in Auftrag gegeben hatte und die vergangenen September vorgestellt wurde. Die Bischöfe hätten sich freiwillig für die Studie entschieden und sich verpflichtet, die Ergebnisse so zu nehmen wie sie kommen.
Dass bislang zu wenig passiert sei, stellt Ackermanns Gesprächspartner auf der Bühne, der Journalist Meinhard Schmidt-Degenhard fest, der beim Hessischen Rundfunk 30 Jahre lang für religiöse Themen zuständig war. Schmidt-Degenhard moderiert das Gespräch mit viel Biss. Doch Ackermann lässt sich selten in die Enge treiben. Auch bei diesem Thema nicht. "Dass die Öffentlichkeit bislang wenig sieht, was sich tut, ist kein Beleg dafür, dass sich nichts tut", sagt er, der vor allem seinen Einsatz für die Verhinderung sexualisierter Gewalt in der Kirche heftig verteidigt.
Die Debatte über die Folgen des Missbrauchs für die katholische Kirche werde derzeit voller Aggressivität geführt, so Ackermanns Eindruck. "Natürlich ist die Situation nicht schön, weil sie von großem Druck und Nervosität geprägt ist. Aber so eine Situation ist nie gut für Entscheidungen", sagt Ackermann. Er meint damit die Forderungen, den Pflichtzölibat abzuschaffen oder das Priestertum für Frauen zu öffnen.
Für Ackermann ist der Machtmissbrauch der "Knackpunkt" des Missbrauchskandals. "Die Macht ist kirchenrechtlich und sakral im Amt kumuliert", sagt er. Hinzu kämen die oft familiären Strukturen in der Kirche. Die soziale Dynamik von Männerbünden sei auch ein Faktor. Daher brauche es auf lange Sicht eine Gewaltenteilung in der Kirche, unabhängige Kontrollinstanzen, die auch Entscheidungen von Bischöfen infragestellen könnten.
Den Pflichtzölibat freizugeben, ist für Ackermann jedoch keine Lösung. Sexuellen Missbrauch gebe es auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten, in denen die Ehelosigkeit keine Rolle spiele. Gleichzeitig sieht Ackermann in einem unreifen, unreflektierten Verhältnis zu Sexualität in Kombination mit einem überhöhten Amtsverständnis einen speziellen katholischen Risikofaktor. Einige Priester hätten vielleicht das Gefühl, sich in ihrem Lebenskontext nicht mit der eigenen Sexualität beschäftigen zu müssen. Das sei falsch. In der Kirche brauche es ein offeneres Gespräch darüber.
Ob die bevorstehenden Beratungen im Vatikan dazu schon einen Beitrag leisten, bleibt fraglich. Konkrete Entscheidungen dürfe man wohl nicht erwarten, sagt Ackermann. Aber er habe die Hoffnung, dass seine Bischofskollegen aus aller Welt mit einer veränderten Haltung, einer anderen Sensibilität für die Geschichten der Opfer aus Rom heimkehrten. "Für mich hört auch das Erschrecken nicht auf", sagt Ackermann. Seit er 2010 das Amt des Beauftragten für Missbrauch und Kinderschutz übernommen habe, habe es vieles gegeben, was ihn belastet habe - "vor allem Schmerzliches im Miterleben, wenn Menschen sich geöffnet und von ihren Erfahrungen erzählt haben." Genau diesen Berichten müssten sich die Bischöfe aussetzen - und das aushalten.